Die zweite Zinserhöhung der EZB um 75 Basispunkte war keineswegs eine Überraschung, betont Nicolas Forest, Global Head of Fixed Income bei Candriam. Der Einlagensatz ist wieder auf dem Niveau von 2011, und Christine Lagarde fährt schwere Geschütze auf, denn die Inflation zeigt mit 9,1 Prozent keine Anzeichen einer Abschwächung. Die Herbstsitzung war zudem eine Gelegenheit, die Wachstums- und Inflationserwartungen zu korrigieren. Die EZB revidierte ihre Inflationsprognosen von zuvor 3,5 Prozent auf 5,5 Prozent für das Jahr 2023 – und das Wachstum auf 0,9 Prozent gegenüber den einst erwarteten 2,1 Prozent.
Drei Lehren lassen sich aus den letzten Monaten ziehen:
Die Zentralbanken und insbesondere die EZB haben die Inflation grob unterschätzt – sowohl im Hinblick auf ihre Dauer, als auch auf ihren Charakter und ihre sekundären Effekte. Wie können Anleger angesichts dessen noch Vertrauen in die neuen Prognosen haben? Wird die Inflation im Jahr 2024 wirklich 2,3 Prozent betragen?
Die Forward Guidance ist tot. Die EZB hatte die Forward Guidance im Jahr 2013 zu einem wichtigen Instrument in ihrem geldpolitischen Arsenal zur Inflationsbekämpfung gemacht. Im Juni wollte die EZB noch ihr Ankaufprogramm einstellen und erst viel später eine erste Zinserhöhung erwägen. Eine solche Kursänderung und eine derartige Verleugnung des Offensichtlichen zeigt keinerlei Transparenz. Investoren können die nächsten Maßnahmen der EZB kaum verstehen. Darüber hinaus stellt sich die Frage des Bilanzmanagements: Wie lassen sich Inflationsbekämpfung und Reinvestition von Fälligkeiten miteinander vereinbaren?
Die Volatilität ist zurückgekehrt. Die Ungewissheit über die Inflation und die Geldpolitik führt zu einer erheblichen Volatilität an den Anleihemärkten, die zuvor durch die jahrelange quantitative Lockerung erstickt worden war. Eine solche Volatilität macht es schwierig für Anleger, ruhig auf den Anleihemärkten zu investieren, sowohl in Unternehmensanleihen mit Investment-Grade-Rating als auch in italienische Schuldtitel.