Startseite » Investmentfonds » Aktien » Wird Europa unterschätzt?

Wird Europa unterschätzt?

Februar 2023
Trotz des anhaltend schwierigen Umfelds räumt Paul Quinsee, Global Head of Equities bei J.P. Morgan Asset Management, den europäischen Märkten größeres Potential ein, als den US-Börsen. Quinsee erläutert dazu die wichtigsten Gründe.
JP Morgan AM
Paul Quinsee, JP Morgan AM

Das sich verlangsamende Wirtschaftswachstum sowie die ansteigenden Zinsen haben in den vergangenen Monaten vor allem den Technologiesektor hart getroffen. Nach Ansicht von Paul Quinsee, Global Head of Equities bei J.P. Morgan Asset Management, ist die Rückschlagphase bei Wachstumsaktien, unter denen viele Tech-Aktien zu finden sind, noch nicht abgeschlossen. Insbesondere die Aktien von „Pre-Profit“-Unternehmen – das heißt Wachstumsunternehmen, die bis dato noch nicht die Gewinnzone erreicht haben –, könnten auf Jahre unterdurchschnittlich abschneiden, wie ein historischer Vergleich nahelegt. Während der Druck auf Gewinnmargen in den USA insgesamt sehr stark ist, erweisen sich die Gewinne europäischer Unternehmen als erstaunlich robust. Bei europäischen Aktien sieht Paul Quinsee daher interessante Chancen.

SUBSTANZ GEGENÜBER WACHSTUM IM VORTEIL

Mit dem raschen Abflauen der 2020 durch die staatlichen COVID-19-Hilfsmaßnahmen ausgelösten wirtschaftlichen Dynamik wurde aus Sicht von Paul Quinsee immer deutlicher, dass die Schätzungen zum Umsatz- und Gewinnwachstum bei vielen Unternehmen äußerst optimistisch waren. Das gelte vor allem für viele Wachstumsunternehmen. Allerdings müsse man differenzieren zwischen etablierten sowie Pre-Profit-Wachstumsunternehmen. Grundsätzlich sieht Quinsee gegenüber dem Growth-Segment Value vorne. „Sich auf die Gewinner des letzten Jahrzehnts zu verlassen ist keine gute Idee. Insgesamt sind etablierte Wachstumsunternehmen zwar viel weniger überteuert, aber immer noch nicht billig, selbst wenn die Fundamentaldaten schwächer werden. Value-Aktien dürften voraussichtlich auch in diesem Jahr die Oberhand gegenüber Wachstumsaktien haben“, so Quinsee. Aus seiner Sicht seien viele Anlegerinnen und Anleger jedoch immer noch zu stark auf Wachstumsaktien fokussiert und zu wenig in die früheren Marktnachzügler aus dem Value-Bereich investiert.

Langfristig schwierige Zeiten sieht Quinsee vor allem auf „Pre-Profit“-Unternehmen zukommen. „Unseren Schätzungen zufolge hat die Gruppe der Pre-Profit-Unternehmen im Jahr 2022 einen schwachen Markt um mehr als 40 Prozent untertroffen, 2021 lag die Underperformance bei 33 Prozent“, stellt Paul Quinsee fest. Das Erreichen der Rentabilität werde in den kommenden Jahren sehr viel schwieriger, da sich das Wachstum verlangsamt. Der Blick in die Historie verheiße für Pre-Profit-Unternehmen nichts Gutes: „Die Renditen für Pre-Profit-Aktien entsprechen im aktuellen Bärenmarkt fast genau denen, die beim Platzen der Dotcom-Blase von 1999 bis 2000 zu beobachten waren. Danach blieben sie in 12 der nächsten 15 Jahre hinter den breiteren Märkten zurück“, erklärt Quinsee. „Selbst nach den dramatischen Rückgängen dieser Aktien im letzten Jahr haben wir wenig Interesse an Titeln, die noch profitabel werden müssen“, führt Quinsee aus.

HÖHERER MARGENDRUCK IN DEN USA

Im Hinblick auf Gewinnmargen erwartet Quinsee weiterhin schwierige Zeiten, auch wenn die Gewinnprognosen inzwischen realistischer würden. „Insgesamt gehen wir davon aus, dass die Unternehmensgewinne in diesem Jahr um 3 Prozent zurückgehen werden, nach einem voraussichtlichen Gewinn von 7 Prozent im Jahr 2022, und über 50 Prozent im Jahr 2021. Die Sektoren Industrie und Technologie dürften am anfälligsten für Gewinnrückgänge sein“, erklärt Quinsee.

Während Marktexperte Quinsee vor allem in den USA einen hohen Druck auf die Gewinnmargen sieht, sind die Aussichten in Europa deutlich positiver. „Die meisten Unternehmen haben sich auf das schwierigere wirtschaftliche Umfeld eingestellt. Am deutlichsten sehen wir das in Europa. Trotz rezessionsnaher Bedingungen und des massiven Anstiegs der Energiepreise nach der russischen Invasion in der Ukraine sind die europäischen Gewinne im vergangenen Jahr um mehr als 20 Prozent gestiegen“, sagt Quinsee. Ein schwächerer Euro und Gewinne im Energiesektor erklärten zwar einige dieser Gewinne, doch spiegele die starke Performance auch eine sehr viel umfassendere Robustheit in einem schwierigen Umfeld wider. „Da europäische Aktien immer noch zu Abschlägen gehandelt werden, bietet die Widerstandsfähigkeit der Gewinne gute Chancen für Anleger“, fasst Quinsee zusammen.