Im Grunde würde sich der Bericht zum US-Verbraucherpreisindex für den Monat Januar ganz gut lesen lassen: Die Gesamtinflationsrate habe sich auf 6,4 Prozent im Jahresvergleich verlangsamt und damit den Rückgang gegenüber dem US-Höchststand von 9,1 Prozent im Juni 2022 weiter fortgesetzt. Ebenso habe sich im Januar die US-Kerninflation, welche die volatileren Lebensmittel- und Energiepreise ausschließe, von 5,7 Prozent im Dezember auf nunmehr 5,6 Prozent im Jahresvergleich reduziert.
„Trotzdem sorgte der Bericht für kritische Diskussionen, denn der monatliche Verbraucherpreisindex stieg um 0,5 Prozent an“, erläutert Thomas Grüner, Gründer und Vice Chairman von Grüner Fisher Investments. „Einige Experten bemühten den Begriff „Supercore“- Inflation, wobei es sich um Inflationsmessungen handelt, die auf spezielle Warenkörbe zurückgehen.“
UNTERSCHÄTZTES RISIKO?
Aus Grüners Sicht würden diese diversen Messvarianten vor allem darauf hindeuten, dass die Marktstimmung noch eine Menge Luft nach oben habe. Die Erwartungshaltung zum Thema Inflation sei immer noch sehr angespannt, weshalb die Aktienmärkte weiterhin sehr viel Spielraum hätten, auch „negative“ Ergebnisse unbeeindruckt zu verarbeiten.
Die Frage sei: wie definiert sich „Supercore“ eigentlich, also die „Super-Kerninflation“? „Das variiert im Auge des Betrachters“, erläutert Grüner. „Einige definieren sie als Dienstleistungen abzüglich Energiedienstleistungen und Unterkünfte. Andere lassen auch die Krankenversicherung außen vor.“ Abgesehen von der Definition würden alle auf der Annahme beruhen, dass die Preise für alltägliche Dienstleistungen hartnäckiger auf einem erhöhten Niveau verbleiben könnten als die Preise für Waren, da sie empfindlicher auf Arbeitskosten reagieren würden als auf Lieferketten und andere externe Faktoren. Die Anhänger dieses Konzepts würden davon ausgehen, dass die Löhne die Preise treiben – und ignorieren dabei Milton Friedmans überzeugende Gegenargumente. „Dennoch ist die US-Notenbank Fed neuerdings ein Fan dieser Definition, Jerome Powell bezeichnete sie als die vielleicht wichtigste Kategorie für das Verständnis der künftigen Entwicklung der Kerninflation“, so Grüner.
KEINE PROGNOSEKRAFT
Das erscheine Grüner nicht besonders logisch. Eine Teilmenge der Inflation besitze demnach keine Prognosekraft für die Gesamtmenge der Inflation – Preise würden sich nicht selbst voraussagen. Ebenso würden auch keine Kategorien mit Prognosecharakter für andere Kategorien existieren – am Ende gelte das Grundprinzip von Angebot und Nachfrage. „Die Komponenten, die nicht in der „Super-Kerninflation“ berücksichtigt werden, sind tendenziell den Wohnungsmieten und äquivalenten Mieten für Eigentümer zuzurechnen, die im US-Warenkorb ein großes Gewicht einnehmen“, meint Grüner. Beide Kenngrößen würden in der Regel den Immobilienpreisen folgen, wodurch diese viel eher zu einem sinnvollen Indikator für Kerninflation würden, nicht die „Super-Kerninflation“ an sich.
FAZIT
„Definitionen ohne Ende deuten auf eine hohe Unsicherheit hin“, resümiert Grüner. „Selbst wenn Gesamtinflation und Kerninflation einem positiven übergeordneten Trend folgen, fällt es kritischen Marktbeobachtern in der aktuellen Phase nicht schwer, sich in ihrer pessimistischen Haltung bestätigt zu fühlen.“ Die „Super-Kerninflation“ sei allerdings kein Beleg dafür, dass die Welt in Wirklichkeit viel schlechter dastehe als es die Experten annehmen. Viel eher biete sie pessimistischen Anlegern die Möglichkeit, auch in Bezug auf das Thema Inflation weiter im Bärenlager auszuharren. Und die Aktienmärkte würden weiterhin davon profitieren, dass die Erwartungshaltung niedrig ausfalle.