Kurzfristig dürfte der Goldpreis aufgrund einer anhaltend robusten US-Wirtschaftsentwicklung und einer nur langsam fallenden Inflation, die beide die Erwartungen von US-Zinserhöhungen unterstützen, unter Druck bleiben, konstatiert Thu Lan Nguyen, Analystin bei der Commerzbank. Sie meint, sobald sich ein Ende der US-Zinserhöhungen abzeichnet, dürfte die Attraktivität des Edelmetalles langsam wieder zunehmen. Das ist umso mehr der Fall, wenn klar wird, dass die US-Notenbank Fed einen Teil ihrer Zinserhöhungen wieder zurücknehmen muss.
Gold ist eine zinslose Anlage, womit seine Attraktivität wesentlich durch die globalen Zinsaussichten (genau genommen die um die Inflation bereinigten Zinsaussichten), insbesondere für die der USA, dem wichtigsten Kapitalmarkt, bestimmt wird. Goldanlagen schneiden vergleichsweise gut in Krisenzeiten ab, wenn allgemein erwartet wird, dass die Notenbanken ihre Leitzinsen als Reaktion auf sich eintrübende Wachstums- und damit Inflationsaussichten senken. Denn dies mindert die Renditeaussichten für verzinste Anlagewerte, während jene für Gold unverändert bleiben. Umgekehrt ziehen sich Investoren in der Regel aus dem Goldmarkt zurück, wenn die Zinserwartungen steigen, weil dies die Opportunitätskosten der Goldanlage erhöht. Auf Basis dieses Zusammenhangs lässt sich die jüngste Entwicklung des Goldpreises gut erklären.
So notierte der Goldpreis zuletzt gut 200 US-Dollar bzw. rund 12 Prozent höher als in seinem Tief im vergangenen Jahr. Dies verdankt er in erster Linie der seit dem Herbst rückläufigen US-Inflation, die ein Ende der zuvor aggressiven US-Zinserhöhungen absehbar gemacht hat. Zuletzt geriet der Preis des Edelmetalls jedoch erneut unter Druck, da sich einerseits der US-Arbeitsmarkt als weitaus resilienter gegenüber der bisherigen geldpolitischen Straffung zeigt und auch die US-Inflation weniger stark fällt als angenommen. Dies hat Spekulationen geschürt, dass die US-Notenbank Fed womöglich ihre Zinsen kurzfristig stärker anheben muss und somit der Zinsgipfel höher ausfällt als die Notenbank bislang in Aussicht gestellt sowie der Markt eingepreist hat.
Auch unsere US-Ökonomen haben angesichts des überraschend dynamischen US-Arbeitsmarktes wie auch des hartnäckigen Preisdrucks ihre Prognosen für Wachstum und Inflation angehoben. Ebenso sehen sie den Zinsgipfel in den USA nun um 25 Basispunkte höher als zuvor (bei 5,50 Prozent), wobei die letzte Zinserhöhung im Juni erfolgen wird. Auf dieser Basis haben wir auch unsere Goldpreisprognose angepasst. Wir sehen nun das Risiko, dass sich der Preis kurzfristig noch weiter abschwächt, weshalb wir unsere Prognosen für die erste Jahreshälfte von 1.850 auf 1.800 US-Dollar je Feinunze gesenkt haben.
Für die zweite Jahreshälfte bleiben wir jedoch optimistisch und rechnen weiterhin mit einem graduellen Anstieg in Richtung 1.950 US-Dollar je Feinunze. Wesentlicher Grund hierfür ist, dass die US-Wirtschaft trotz der jüngst robusten Konjunkturentwicklung unseren US-Experten zufolge letztlich nicht um eine deutlichere Abschwächung herumkommen wird. Immerhin ist der US-Leitzins mittlerweile um 450 Basispunkte seit Frühjahr letzten Jahres erhöht worden und dürfte noch um weitere 75 Basispunkte steigen, was sich in zinssensitiven Sektoren wie dem Bau bereits bemerkbar macht. Mit einer sich zur zweiten Jahreshälfte deutlich abschwächenden Wirtschaftsdynamik und einer nachlassenden Inflation dürfte sich der Fokus des Marktes recht schnell auf mögliche Zinssenkungen richten, die Gold relativ gesehen wieder attraktiver erscheinen lassen sollten. Diese dürften sich zum Ende des Jahres deutlicher abzeichnen. Unsere Ökonomen rechnen mit einer ersten Zinssenkung der Fed im ersten Quartal 2024.