Bisher hat sich das weltweite Wirtschaftswachstum besser gehalten als allgemein erwartet. Dennoch könnten die entwickelten Märkte in eine Rezession abgleiten. Welche Auswirkungen hätte das auf die Schwellenländer? Ein Engagement könnte sich laut Gillian Edgeworth, Macro Strategist, und Tobias Ripka, Investment Director bei Wellington Management, lohnen. Lesen Sie im Folgenden, was Anleger beachten sollten.
Zwar hält Edgeworth eine Fortsetzung des aktuell schwachen Wachstums in den entwickelten Märkten für wahrscheinlich. Sollten sie doch in eine „normale“-Rezession abrutschen (hier definiert als zwei bis vier Quartale mit einem Rückgang gegenüber dem Vorquartal) dürften die meisten Emerging Markets (kurz: EM) diesen Abschwung allerdings relativ gut überstehen.
„Strategisch erhöhen Schwellenländeranleihen die Diversifikation im Portfolio und können die erwartete Rendite steigern. Sie bringen aber auch spezifische Risiken ins Portfolio, daher sollte sich die individuelle Gewichtung am vorhandenen Risiko-Budget orientieren“, sagt Ripka. Er erläutert: „Aktuell halten wir EM-Anleihen für besonders attraktiv, insbesondere Lokalwährungsanleihen, die Zugang zu den lokalen EM-Zinszyklen bieten. Die meisten EM-Zentralbanken haben ihren Zinszyklus abgeschlossen und liegen bereits über ihrer aktuellen Inflationsrate. Die EM-Zinsniveaus sind daher aktuell attraktiv. Zudem gehen wir davon aus, dass im Falle einer Rezession, die den Inflationsdruck abschwächen sollte, die Schwellenländer schnell mit Zinssenkungen reagieren werden und damit auch für ein Rezessions-Szenario relativ gut aufgestellt sind. Mit Blick auf die aktuellen Zinsniveaus, Haushaltsdefizite und erwartete Zinspolitik erscheinen vor allem Länder in Mittel- und Osteuropa sowie Lateinamerika besonders attraktiv.“
Laut Edgeworth würden Wirtschaftsmodelle zwar dazu neigen, das Risiko einer Rezession zu überschätzen – unter anderem weil der Dienstleistungssektor unterrepräsentiert ist –, doch die Geschichte zeige, dass weiche Landungen eher die Ausnahme sind. Mehrere Indikatoren würden auf eine steigende Wahrscheinlichkeit eines negativen Wachstums in den kommenden Quartalen hinweisen.
„Unsere Analyse zeigt zum Beispiel Folgendes: In der Vergangenheit dauerte es bei einer Inversion der US-Zinsstrukturkurve durchschnittlich 13 Monate, bis die Konjunktur ihren Höhepunkt erreichte. Die Zinsstrukturkurve ist in den USA seit elf Monaten invers. Es gibt sehr zaghafte Anzeichen für eine Abschwächung am Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosigkeit in den USA beginnt ganz allmählich zu steigen. Die Geschichte zeigt, dass die Arbeitslosigkeit in den Fällen, in denen sie so niedrig war wie heute, zwölf Monate später in der Regel um ein bis zwei Prozentpunkte höher lag.
Die Emerging Markets haben in den letzten drei Jahrzehnten harte Anpassungen durchlaufen. Seit der Einführung der Anlageklasse haben sie aber wenig oder gar keine Erfahrung mit einer normalen Rezession in den Industrieländern gemacht. Die globale Finanzkrise und COVID waren weitaus größere Schocks, und sowohl beim sogenannten ‚Taper Tantrum‘ des Jahres 2013 als auch beim Einbruch der Rohstoffpreise in den Jahren 2014 und 2015 wurden die Emerging Markets aufgrund ihrer hohen Defizite und ihrer Abhängigkeit von Rohstoffen stark in Mitleidenschaft gezogen. Sollten die Industrieländer diesmal eine eher normale Rezession erleben, wird dies zweifellos negative Auswirkungen auf die Emerging Markets haben. Ich denke aber, dass diese für die meisten eher unangenehm als unüberwindbar sein werden.
Im Falle einer Rezession in den Industrieländern gehe ich davon aus, dass die Emerging Markets die Entwicklung in den Industrieländern weitgehend widerspiegeln werden, d.h. das Wachstum wird sich weiter verlangsamen und möglicherweise schrumpfen, und die Arbeitsmärkte werden eine stärkere Korrektur als bisher durchlaufen. Allerdings sollte man das Ausmaß der Preisschwankungen bei Rohstoffen im Auge behalten, wobei die wichtigsten Rohstoffexporteure Lateinamerikas und Südafrikas am anfälligsten sind.
In einem Szenario, in dem die USA und die Eurozone im Laufe dieses Jahres oder in der ersten Jahreshälfte 2024 in eine Rezession abgleiten, dürften die Zentralbanken sowohl in den Industrieländern als auch in den Emerging Markets zuversichtlicher werden, dass die Inflation auf ihr Zielniveau zurückkehrt, und mit Zinssenkungen beginnen. Die Zentralbanken in den Emerging Markets werden sich wahrscheinlich schneller umstellen, wenn man bedenkt, wie weit sie ihre Leitzinsen über das neutrale Niveau hinaus angehoben haben.
Soweit eine normale Rezession in den Industrieländern den globalen Inflationsdruck verringert, wären die Zentralbanken der Emerging Markets weniger auf ihre Währungen angewiesen, um ihre Inflationsziele zu erreichen, was bedeutet, dass sie eine gewisse Abwertung ihrer Währungen in Kauf nehmen könnten, wenn der US-Dollar stärker wird. Eine solche Anpassung muss nicht zwangsläufig eine Rückkehr zu dem Trend schwacher EM-Währungen des letzten Jahrzehnts bedeuten. Während in den Industrieländern sowohl die Zentralbankbilanzen als auch die Haushaltsdefizite stark ausgeweitet wurden, waren die ausländischen Kapitalzuflüsse in die Lokalmärkte der Emerging Markets deutlich verhaltener.
Da wir mit einer Disinflation und Zinssenkungen rechnen, bevorzugen wir ein Durationsengagement in den Emerging Markets. Dabei ziehen wir die zentral- und osteuropäischen sowie die lateinamerikanischen Märkte vor. Obwohl Zinssenkungen in Lateinamerika und Zentral- und Osteuropa den Carry reduzieren werden, dürften die Ausgangslage bei den Leitzinsen, überschaubare Defizite und vorsichtige Zinssenkungen die Währungen stützen.
Wir sehen EM-Anleihen derzeit positiv, sind aber im Hinblick auf Fremdwährungsanleihen verglichen mit Lokalmärkten vorsichtig eingestellt aufgrund der engen Spreads gegenüber den historischen Daten in den Emerging Markets sowie gegenüber Investment-Grade- und High-Yield-Anleihen in den Industrieländern.“