Die Märkte haben vollständig eingepreist, dass die Zinsen länger höher bleiben werden. Wie wird sich dies insbesondere in Frankreich und Italien auf die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung auswirken? Der Frage geht Ombretta Signori, Head of Macroeconomic Research and Strategy bei Ofi Invest Asset Management, in ihrem Kommentar nach:
Die lockere Geldpolitik der letzten Jahre hielt die Neuschuldenlast relativ niedrig. Die staatliche Schuldenquote von Frankreich und Italien ist nach der Pandemie und der Energiekrise aufgrund des hohen nominalen Wachstums der letzten drei Jahre nur moderat gestiegen. Da die europäischen Anleiherenditen jedoch wahrscheinlich noch einige Zeit hoch bleiben werden und die Inflation bis 2025 auf nahezu 2 Prozent zurückgehen dürfte, können Frankreich und Italien nicht mehr auf ein so günstiges Verhältnis zwischen hohem Nominalwachstum und sehr niedrigen Nominalzinsen bauen. Dieses günstige Gefälle dürfte in Italien bis 2024 verschwinden und auch in Frankreich bis 2030 allmählich auf fast Null sinken.
In den kommenden Jahren werden Frankreich und Italien ständige Anstrengungen auf sich nehmen müssen, um ihre Schuldenquote auf der Grundlage realistischer makroökonomischer Annahmen schrittweise zu stabilisieren. Jeder signifikante Zinsschock – das heißt 100 Basispunkte oder mehr im Vergleich zu den Niveaus, die die Märkte einpreisen – würde unserer Meinung nach die Stabilisierung der Schulden/BIP-Quoten bis 2030 und damit die Tragfähigkeit der öffentlichen Verschuldung gefährden.
Die EU-Mitglieder haben gerade ihre Haushaltsentwürfe bei der Europäischen Kommission eingereicht, die bis Ende November eine Stellungnahme dazu abgeben dürfte. In der Zwischenzeit werden mehrere Rating-Agenturen ihre Bewertungen der Staatsschulden aktualisieren. Die wichtigste Entscheidung wird Moody’s am 17. November treffen. Moody’s hat seinen Ausblick für Italien bereits gesenkt. Sollte der negative Ausblick zu einer Herabstufung führen, so bedeutete dies für Italien einen Abstieg auf Hochzinsniveau.
Die EU-Kommission wird dann bis zum nächsten Frühjahr Zeit haben, um über mögliche Verfahren wegen übermäßiger Verschuldung gegen einzelne Mitgliedstaaten zu entscheiden, deren Defizite die Marke von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes übersteigen.
Unserer Meinung nach wird die EU-Kommission die fiskalischen Regeln aus mindestens drei Gründen flexibel auslegen:
Die Regeln der EU werden ohnehin nur selten strikt eingehalten.
Die Verschuldungsregeln sind seit Beginn der Covid-Krise außer Kraft gesetzt, und die Verhandlungen über neue Haushaltsregeln sind ins Stocken geraten.
Eine detaillierte Analyse des Brüsseler Bruegel-Instituts hat gezeigt, wie besonders ungünstig sich die jüngsten Reformvorschläge für Frankreich auswirken werden, das gezwungen sein wird, innerhalb weniger Jahre einen unrealistischen Primärüberschuss zu erzielen (1).
Insbesondere im Hinblick auf Italien dürfte sich der Handlungsdruck der EU-Kommission ohnehin in Grenzen halten, da der so genannte „Superbonus“, der dazu führte, dass die Schuldenquote überschritten wurde, von der Europäischen Kommission als Bestandteil des Konjunkturprogramms genehmigt worden war. Der Superbonus ist eine Subvention der italienischen Haushalte für Energieinvestitionen und kostet den Staat je nach Schätzung zwischen 110 bis 120 Milliarden Euro.
Vor diesem Hintergrund dürfte sich die Diskussion auf die Glaubwürdigkeit der Einnahmen-Prognose der italienischen Regierung konzentrieren: Ein Teil dieser Einnahmen soll sich aus Privatisierungen ergeben. Eine negative Stellungnahme der Kommission zum italienischen Haushalt in den kommenden Wochen würde die Ängste der Märkte schüren und das Risiko einer Herabstufung des Ratings des Landes erhöhen.
Quelle: „A quantitative evaluation of the European Commission’s fiscal governance proposal“, Z. Darvas, L. Welslau und J. Zettelmeyer, Bruegel, 18. September 2023