Am 10. Februar beginnt mit dem chinesischen Neujahrsfest das Jahr des Drachen. Zugleich bemüht sich China, die Stimmung der Investoren zu verbessern und die Tiefstände am Aktienmarkt sowie die Immobilienkrise hinter sich zu lassen. Die Erfolgschancen stehen nicht schlecht, sagt Jasmine Kang, Portfoliomanagerin für chinesische Aktien bei der Fondsboutique Comgest, und gibt eine Einschätzung ab.
Das Jahr des Drachen verbinden viele Chinesen mit großen Erwartungen. Nach dem chinesischen Tierkreiszeichen steht dieses Fabelwesen für Kraft, Wohlstand und Glück. Daher wollen viele Menschen in dieser Zeit heiraten, ein Haus kaufen oder Kinder bekommen, um später sagen können: „Es geschah im Jahr des Drachen“. Wir bei Comgest sind zwar keine Feng-Shui-Meister, die Vorhersagen für das kommende Jahr machen, aber wir denken, dass der chinesische Jahreswechsel ein guter Anlass ist, den zuletzt enttäuschenden chinesischen Aktienmarkt genauer unter die Lupe zu nehmen.
WENDEPUNKT IN SICHT
Der chinesische Aktienmarkt erlebte 2023 einen kräftigen Einbruch, gefolgt von einem erneuten Kursrückgang Anfang 2024. Der Immobilienabschwung hat sich seit Mitte 2021 über 30 Monate hingezogen, und die lange verfolgte strenge Covid-Politik hat das Verbrauchervertrauen zusätzlich geschwächt. Dennoch besteht unserer Ansicht nach keine unmittelbare Gefahr, dass eine Vermögensblase platzt. Chinas Immobilienpreise liegen im Schnitt beim 6,3-Fachen des jährlichen Haushaltseinkommens und damit deutlich niedriger als in den meisten Industrieländern (in den USA liegt der Multiplikator etwa bei 9,5) [1].
Das deutet darauf hin, dass die chinesischen Immobilienpreise angemessen sind. Zudem ist der Anteil des Immobiliensektors am Bruttoinlandsprodukt (BIP) von rund 30 Prozent im Jahr 2020 auf aktuell unter 20 Prozent gesunken. Der Einfluss des Sektors auf das Wirtschaftswachstum hat sich bereits deutlich reduziert.
Zugleich hat der Vermögenseffekt des schwachen chinesischen Immobilienmarktes zur anhaltenden Schwäche des Binnenkonsums beigetragen. Trotzdem verzeichnete der Markt für E-Fahrzeuge in China mit einem Plus von 38 Prozent bei den Verkaufszahlen 2023 ein weiteres erfolgreiches Jahr[2]. In Zukunft könnten günstige E-Fahrzeuge aus den Schwellenländern den etablierten Marken mit geringerem Fokus auf E-Mobilität Anteile am globalen Markt abknöpfen. Wir glauben, dass China hier eine ähnliche Rolle spielen wird wie Japan und Korea in den 1970er bis 1990er Jahren, als die preisliche Wettbewerbsfähigkeit und die Qualität ihrer Produkte den Export ankurbelten.
Einen weiteren Lichtblick liefert die Reisetätigkeit. Die durchschnittliche Sitzplatzkapazität für Auslandsflüge stieg im Januar 2024 um mehr als 300 Prozent im Vergleich zum Vorjahr [3]. Am größten war die Zunahme bei Flügen nach Japan, gefolgt von Malaysia, Vietnam, Südkorea, Singapur, Europa und den USA.
Die starke Innovationsfähigkeit von Unternehmen hält unbeeindruckt von der Wirtschaftsschwäche an. Analysten und Portfoliomanager von Comgest besuchten die Shanghai Industrial Show im November 2023 und trafen dort asiatische Marktführer wie Delta (Taiwan) und Inovance (China) sowie ihre etablierteren Konkurrenten wie Fanuc und Yaskawa (beide Japan) und Siemens(Deutschland). Die Nachfrage nach Automatisierung in der Automobilindustrie und Robotik bei industriellen Produktionsprozessen generell wächst weiter, und fast alle Wettbewerber berichteten, das ausgewählte chinesische Unternehmen durch verbesserte Produkte Marktanteile dazugewinnen. China hat seinen ersten Sieben-Nanometer-Chip vorgestellt, der sich noch im Anfangsstadium der Produktion befindet, so dass wir seine Qualität und Leistungsfähigkeit noch überprüfen müssen. Ein weiteres Beispiel für die steigende Exportnachfrage ist die Medizintechnik, wo wir sehen, dass Mindray außerhalb Chinas qualitativ hochwertige Aufträge für seine Patientenüberwachungs- und Hämatologiesysteme erhält [4].
AUF DEM WEG ZU KLIMANEUTRALITÄT
Als langfristig orientierter Investor wissen wir um die Hürden des Transformationsprozesses im Land der Mitte: Dazu zählen potenziell Technologie, Kosten und Geopolitik. Unser Research signalisiert aber, dass sich der Übergang zur Kohlenstoffneutralität weiter beschleunigt hat. CATL (China) und LG Energy Solution (Südkorea) sind die beiden größten Batteriehersteller der Welt und verfügen über Kostenvorteile, umfassende technologische Fähigkeiten und eine globale Präsenz. Li Auto sticht unter den chinesischen Anbietern im Bereich der neuen E-Autos durch Produktdesign, Kostenmanagement und Geschäftswachstum hervor[5]. Im Solarbereich sind wir der Meinung, dass Solarglas weniger Preisdruck und technologische Disruption erfahren wird und zugleich geopolitisch weniger exponiert ist als andere Sektoren. Das chinesische Unternehmen Xinyi Solar ist der größte Solarglashersteller der Welt [6]. Xinyi Solar hat aufgrund seiner Größe, Effizienz und Managementerfahrung einen starken Kostenvorteil gegenüber seinen Mitbewerbern.
Angesichts des erwarteten niedrigeren Zinsniveaus im US-Dollarraum und einer wahrscheinlichen Bodenbildung auf dem chinesischen Immobilienmarkt – einhergehend mit anhaltendem Fortschritt bei Innovation und Energie – könnte eine Umschichtung nach Fernost für Anleger eine interessante Investmentstrategie sein. Während das Jahr des Hasen zu Ende geht und der Drache entfesselt wird, ist es unserer Meinung nach an der Zeit, nach qualitativem, langfristigem Wachstum in China Ausschau zu halten.
[1] Quelle: CREIS, NBS, Demographia, J.P. Morgan Schätzungen
[2] Quelle: Chinese Associaton of Automobile Manufacturers
[3] Quelle: OAG Data
[4] Quelle: Comgest, Mindray
[5] Quelle: www.blackridgeresearch.com
[6] Quelle: www.xinyisolar.com