Startseite » Nachhaltigkeit » FNG-Siegel » Siegel, Scores, Ratings und ihre Grenzen

Siegel, Scores, Ratings und ihre Grenzen

Juli 2024
von Roland Kölsch, Verantwortlicher Standards & Labels, F.I.R.S.T.
F.I.R.S.T.
Roland Kölsch, F.I.R.S.T.

In den letzten Jahren gab es eine enorme Dynamik der Investments im Nachhaltigkeitskontext – vor allem in Europa. Dies gilt sowohl in Bezug auf das Volumen als auch für Produktinnovationen oder Investmentstrategien. Um die Gesamtentwicklung dieses enorm gewachsenen und vielschichtigeren Marktes abzubilden – die neue Welt nachhaltiger Geldanlagen sozusagen – etabliert sich gerade ein SRI-Klassifizierungssystem, das von EUROSIF und dann sukzessive von den nationalen Sustainable Investment Foren (SIFs) benutzt wird. Parallel dazu hat der Gesetzgeber neue regulatorische Vorgaben gemacht, die viele auch zur Produktklassifizierung insbesondere Art. 8 und 9 und ein nicht aus der Regulatorik hervorgehender Art. 8+ nutzen.

Eins ist all diesen Entwicklungen gemein: Es wird nicht deutlich, inwiefern einzelne Investments bzw. Finanzprodukte aktiv zur Transformation der Realwirtschaft beitragen oder eine Wirkung entfalten. Dabei zeigen Studien, dass die konkrete Wirkung von Anlageprodukten vermehrt in den Fokus rückt. Und die alles überlagernde gesamtgesellschaftliche Aufgabe wird mit dem Begriff der „Großen Transformation“ beschrieben. Die Herausforderung für Produktanbieter wird darin liegen, Investierenden darzulegen, welche ökologischen und sozialen Konsequenzen positiver wie negativer Art mit dem nachhaltig anlegenden Finanzprodukt verbunden sind.

Gerade im Hinblick auf Europa ist deshalb ein inhaltlich ausgerichtetes konzeptionelles Rahmenwerk als Grundlage jeglicher Klassifizierungsbemühungen notwendig. Auch deshalb, weil zum jetzigen Zeitpunkt jegliche, rein auf quantitative Indikatoren bzw. auf aus der Regulatorik sich ergebende Quoten abzielende Einstufungen nicht die fundierte Datengrundlage vorweisen können, die nötig wäre, um möglichst objektive Nachhaltigkeits-Einschätzungen vornehmen zu können. Daher eignen sich solche Systeme vorerst leider nicht für eine allseits gewünschte einfache Skalierung.

Orientierung bieten und Standards setzen

Das FNG-Siegel ist zunächst einmal eine Orientierungshilfe für Anlegende auf der Suche nach soliden, professionell verwalteten Investmentfonds oder ähnlichen Produkten, die sich Nachhaltigkeit ganz allgemein auf die Fahnen schreiben. Nichts mehr und nichts weniger. Das ist bei über 10.000 in der EU vertriebenen Fonds eine zeitsparende Hilfe. Es bietet Produktanbietern und den jeweiligen Vertriebsstellen die Möglichkeit, die Qualität und die Nachhaltigkeitsstandards ihrer Anlageprodukte zu belegen. Dies wird auch in diesem Jahr extern geprüft durch ein eigenes Prüfteam unter dem wissenschaftlichen Beirat von Timo Busch von der Universität Hamburg und begleitet von einem unabhängigen Expertenkomitee verschiedener Stakeholder. 

Mittels „Pflicht und Kür“ schafft das FNG-Siegel einen Mindeststandard und zeichnet die Produkte aus, die sich zu mehr verpflichtet fühlen. Anhand des Mindeststandards mit klar festgelegten, transparent beschriebenen Kriterien, wird Greenwashing schon mal vorgebeugt. Darüber hinaus wird der Wettbewerb um anspruchsvollere nachhaltige Anlagestrategien durch ein Stufenmodell gefördert. Je vielschichtiger und intensiver ein Fonds auf den Ebenen des Stufenmodells im Sinne der Nachhaltigkeit aktiv ist, umso höher ist seine Nachhaltigkeits-Qualität. 

Als Gütezeichen ist das FNG-Siegel nicht direkt vergleichbar mit z. B. einem Score, einem Rating oder einer Skala bzw. Ampelsystem. So haben bspw. quantitative ESG-Portfolio-Scores selbstverständlich ihre Daseinsberechtigung, sind in ihrer Aussagekraft aber limitiert und abhängig vom dahinterstehenden Research-Ansatz, der bekanntermaßen sehr individuell ist und dessen Ergebnisse nur schwach mit denen anderer Research-Ansätze korrelieren. Anlegende müssen akzeptieren, dass die Nachhaltigkeit in der Geldanlage zumindest zum jetzigen Zeitpunkt immer noch nicht mit einer einfachen Zahl, einer simplen Farbe, geschweige denn binär mit „ja“ oder „nein“ ausgedrückt werden kann.