Nach herausfordernden Jahren deutet sich derzeit aufgrund einer zurückgehenden Inflation ein Soft Landing für die Weltwirtschaft an. Die Aussichten für die deutsche Wirtschaft bleiben dennoch angespannt. „Trotz einer möglichen Erholung der globalen Konjunktur bleibt Deutschland für die europäische Wirtschaft ein Schwachpunkt“, sagt Frank Liebold, Country Director Deutschland bei Atradius. In seinem halbjährlichen Wirtschaftsausblick schätzt der internationale Kreditversicherer, dass das globale Wachstum in diesem Jahr bei 2,6 Prozent liegen wird, ein Plus von 0,5 Prozent gegenüber den Erwartungen vor sechs Monaten. In der Eurozone wird mit einem Wachstum von 0,8 Prozent gerechnet, während für Deutschland ein Nullwachstum erwartet wird.
Die Inflation ist in den vergangenen zwei Jahren zurückgegangen und nähert sich nun den Zielen der Zentralbanken. Vor allem in der Eurozone befindet sich die Inflation auf einem deutlichen Abwärtspfad und dürfte 2024 unter die Marke zweiProzentfallen. Für Deutschland stehen die Zeichen dennoch nicht auf Entspannung. Nach wie vor belasten die Unternehmen hierzulande die hohen Energiepreise, der Fachkräftemangel, die schlechte Auftragslage oder auch die überbordende Bürokratie. Ein Beleg für die schwierige Lage der deutsche Industrie sind auch die jüngsten Exportzahlen: Die Ausfuhren deutscher Unternehmen sanken im Mai so stark wie seit Dezember 2023 nicht mehr. Auch die Importe schrumpften. Dass die Lage in Deutschland schwierig bleibt, zeigt zudem die steigende Zahl an Insolvenzen und die schlechter werdende Zahlungsmoral.
Eine Belebung der Konjuktur durch Impulse aus dem Ausland ist ebenfalls nicht zu erwarten. „Die US-amerikanische Wirtschaft ist zwar stabiler als erwartet, jedoch hält sich die Inflation hartnäckiger als in der Eurozone“, so Frank Liebold. Mit einer Senkung der Leitzinsen und einer Änderung am protektionistischen Kurs der USA sei nicht zu rechnen.
Nachdem der Welthandel im Jahr 2023 um 1,2 Prozent schrumpfte, prognostiziert Atradius ein Wachstum des Handels im Jahr 2024 auf 2,5 Prozent und im Jahr 2025 auf drei Prozent. „Die Wachstumsraten sind zwar robust, jedoch bleiben sie im Vergleich zu den letzten zwei Jahrzenten relativ gedämpft. Zudem fällt Deutschland als Exportland immer weiter zurück“, so Liebold. Das liegt nicht zuletzt auch an der sinkenden Nachfrage aus Exportländern wie China. Die Spannungen im Handel zwischen China und den USA dürften weiterhin bestehen bleiben. Eine allgemeine Veränderung an den geopolitischen Risiken ist ebenfalls nicht zu erkennen.
Im Krieg zwischen der Ukraine und Russland ist keine kurzfristige Lösung zu erwarten, die Spannungen im Nahen Osten flauen nicht ab, der Konflikt zwischen China und Taiwan schwelt weiter. „All diese Faktoren haben einen Einfluss auf den Welthandel und damit auch direkt und indirekt auf die Liquidität der Unternehmen in den einzelnen Ländern. Für den Export stellt das ein essentielles Risiko dar“, mahnt Liebold.
SCHWELLENLÄNDER WACHSEN SCHNELLER
Für Industriestaaten wird bis 2024, in ähnlichem Umfang auch für das Jahr 2025, ein Wachstum von 1,6 Prozent erwartet. Bessere Aussichten haben laut Atradius aufstrebende Volkswirtschaften (EMEs), die jedoch auch nur bei einem erwarteten Wirtschaftswachstum von 3,9 Prozent in diesem Jahr und vier Prozent im Jahr 2025 weiterhin langsam wachsen. Für die deutsche Wirtschaft kann demnach aus den Schwellenmärkten kaum Unterstützung erwartet werden. „Insbesondere in China dürfte die Dynamik nachlassen, was angesichts der Bedeutung des chinesischen Martkes für die deutsche Industrie alarmierend ist“, erläutert Liebold. Sollten die geopolitischen Spannungen weiter zunehmen, könnte das zu höheren Transportkosten und höheren Ölpreisen führen, was die Inflation wieder in die Höhe treiben könnte.