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Power-Innovationen bei der Arbeitskraft­sicherung im Diskurs

Printausgabe | April 2025
Die Absicherung der Berufsunfähigkeit (BU) ist lukrativer geworden. Und immer besserer Schutz ist möglich. Das gilt bereits für Schüler. Innovative Neuerungen sorgen für Diskussionen und neue Impulse beim Vertrieb von BU-Policen. Die Beratung wird jedenfalls komplexer, denn es gilt weiterhin, den individuellen Bedarf der Kunden zu decken.
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Die Nachfrage nach Arbeitskraftabsicherung, vor allem nach dem Königsweg, der Berufsunfähigkeitsversicherung (BU), steigt. Das bestätigen Praktiker. So startet das Jahr bei Versicherungsmakler Gerd Kemnitz vom bu-portal24.de positiv. „Die Zahl der Anfragen hat 2025 deutlich zugenommen“, so der Experte. Auch Guido Lehberg (der-buprofi.de) meldet einen „guten“ Markt. Und Stuttgarter-Leben-Chef Guido Bader unterstreicht: „Unsere neu zum 1. Januar 2025 kalkulierte BU bringt starke Impulse.“

Das hat gute Gründe. Zum einen hat das Bewusstsein für die Absicherung der Arbeitskraft in der Bevölkerung zugenommen – ein noch anhaltender Corona-Effekt. Höheres Interesse zeigen nun auch junge Berufseinsteiger und Selbstständige. Zum anderen ist die BU-Rente deutlich gestiegen. Das ist ein Effekt eines höheren Höchstrechnungszinses, den die Assekuranzen bei ihrer Kalkulation nutzen. Eine umfangreiche Studie des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) belegt die Entwicklung. „Die Garantieleistungen in der Berufsunfähigkeitsversicherung steigen um bis zu neun Prozent“, erläutert Moritz Schumann, stellvertretender GDV-Hauptgeschäftsführer. Verglichen wurden die garantierten Leistungen von 131 Tarifen für fünf exemplarische Modellfälle unterschiedlicher Berufsbilder (siehe Schaubild). BU-Schutz springt an, wenn Versicherte ihren Beruf dauerhaft nicht mehr ausüben können, weil die Leistungsfähigkeit durch Krankheit oder Unfall um mehr als 50 Prozent gesunken ist. Lebensversicherer müssen Berufsunfähigkeitsrenten so kalkulieren, dass sie über viele Jahre hinweg sicher gezahlt werden können. Bei den Kapitalrücklagen dürfen die Versicherer den Höchstrechnungszins nicht überschreiten.

In der aktuellen Praxis spielt der Höchstrechnungszins aber oft eine eher untergeordnete Rolle. „Es geht darum, dass unsere Kunden eine bedarfsgerechte Absicherung bekommen“, sagt Experte Lehberg. Wenn diese jetzt günstiger sei, sei das zwar „super“. Doch durch die Inflation der letzten drei Jahre sei dieses Plus an BU-Rente fürs gleiche Geld, aber auch bitter nötig, um sich sinnvoll zu versichern. Lehberg: „Denn an der Rentenhöhe und der Laufzeit sollte man vorher nicht sparen und das gilt jetzt auch noch.“

Sehr gute BU-Tarife gibt es mittlerweile wie Sand am Meer. Die Rating-Agentur Morgen & Morgen sowie Franke und Bornberg bestimmen seit Jahren den „Goldstandard“ am Markt. Daran können Vermittler kaum vorbeigehen, denn ein hochwertig bewerteter Tarif schafft auch Haftungssicherheit bei der Beratung. Die höchste Auszeichnung bei Franke und Bornberg heißt „FFF+“ oder „hervorragend“ mit der Schulnote 0,5. Bei Morgen & Morgen sind es „fünf Sterne“ oder „ausgezeichnet“.

„Unser Rating berücksichtigt nicht nur die Versicherungsbedingungen, sondern auch die Kompetenz der Anbieter, die Beitragsstabilität und die Qualität der Antragsfragen“, erläutert Thorsten Saal, Bereichsleiter Mathematik & Rating bei Morgen & Morgen. Berater können diese Informationen nutzen, um ihre Kunden umfassend zu informieren und zu beraten. Mittlerweile gibt es bei dem Analysehaus 530 Tarife mit der Top-Bewertung und lediglich 99 mit geringeren Auszeichnungen. Saal sieht einen klaren Trend: „Die Qualität der BU-Versicherungen steigt kontinuierlich.“ Demgegenüber warnt Michael Franke, dass manche Verbesserungen die Balance zwischen Versicherbarkeit und Solidität beeinträchtigen könnten. So etwa der „Verzicht auf konkrete Verweisung“ oder das vollkommene Entfallen der Pflicht zur Nachmeldung bei Berufsaufnahme. Die Beraterschaft ist aber kaum den Assekuranzen verpflichtet, sondern ihrer Kundschaft. Und die sollte entscheiden, was für sie sinnvoll ist. Dafür müssen aktuelle und wichtige Innovationen der letzten Zeit erläutert werden.

Ein großes Plus des von den Ratingagenturen forcierten Wettbewerbs ist es beispielsweise, dass in fast allen Tarifen heute auf die sogenannte abstrakte Verweisung durch den Versicherer verzichtet wird.  So können die Assekuranzen BU-Renten nicht mehr mit dem Argument verweigern, dass die versicherte Person trotz Einschränkungen noch „theoretisch“ einer anderen Tätigkeit als dem zuletzt ausgeübten Beruf nachgehen kann.  Nun haben die HDI und die Bayerische auch auf die immer noch übliche „konkrete Verweisung“ verzichtet. Im Rahmen der konkreten Verweisung kann der Versicherer die Leistung einstellen, wenn der Versicherungsnehmer tatsächlich – und freiwillig – eine neue Tätigkeit ausübt mit ähnlichem Einkommen und gleichem sozialen Ansehen, die er im zuletzt ausgeübten Beruf hatte, bevor gesundheitliche Beeinträchtigungen auftraten.

Keine konkrete verweisung

Das würde beispielsweise für einen Maurer gelten, der nach einem schweren Bandscheibenvorfall, Anspruch auf eine BU-Rente hat, aber später umschult und freiwillig als Bauzeichner arbeitet und so das ungefähr gleiche Einkommen und die gleiche Wertschätzung im Beruf erzielt. Versicherungsmakler Tobias Bierl aus Walderbach verweist darauf, dass eine konkrete Verweisung für akademische Berufen in der Praxis schwierig ist. Wer beispielsweise 50 Prozent und mehr in seiner bisherigen Tätigkeit als Jurist eingeschränkt ist, findet kaum einen wirklich vergleichbaren Beruf. Interessant bleibt der Verzicht auf die konkrete Verweisung daher für körperlich Tätige. Als Nachteil sieht Experte Bierl, dass man so einen falschen Anreiz setzt, weil ein „doppeltes Abkassieren“ durch Rente und neuen Beruf möglich ist. Das könnte auch dazu führen, dass man schneller und öfter versucht, eine BU-Rente zu gekommen. Wie Rater Franke warnt auch Bierl davor, dass so das Kollektiv der Versicherten „geschädigt“ werde. Zudem sei das „Feature“ teuer. Als Vorteile listet Bierl auf:
• Klare Regelung: Verzicht auf jegliche Verweisung.
• Wer in seinem Beruf BU ist, soll auch die Leistung bekommen – egal, ob er freiwillig etwas anderes arbeitet.
• Ein wirklich werthaltiges neues Produktfeature. Insbesondere geeignet für zahlungskräftige Kunden.
• Versicherte Renten sind oft niedrig – manch einer muss vielleicht sogar nebenher arbeiten, um leben zu können.
• Warum sollte man Menschen, die berufsunfähig sind, das Arbeiten in einem ähnlichen Job verbieten? Gesellschaftspolitisch ist das angesichts des Fachkräftemangels nicht sinnvoll.

Der Versicherungsmakler Matthias Helberg aus Osnabrück beurteilt die neue Leistung insgesamt als „positiv“. Und Versicherungsmakler Kemnitz verweist auch darauf, dass es ja durchaus möglich ist, dass der Verweisungsberuf – also in unserem Fall der Bauzeichner – nach einigen Jahren wegfällt oder sich reduziert und dadurch das Einkommen unter die Vergleichbarkeit sinkt. Dann wäre der Verzicht auf konkrete Verweisung durchaus vorteilhaft.

Auch für Selbstständige gibt es nun eine wichtige Innovation am Markt. Die Condor Versicherung und die R+V Versicherung verzichten in der BU künftig auf die Prüfung der sogenannten Umorganisation. Für alle, die ihre Tätigkeit selbst festlegen können, also Selbstständige und Unternehmer, prüfen die Versicherer, ob der Betrieb nicht so umgestaltet werden kann, dass die körperliche Beeinträchtigung nicht ins Gewicht fällt.   Selbständige und Unternehmer können Tätigkeiten beispielsweise delegieren. Die Versicherer prüfen daher, ob diese Berufsträger ihren Betrieb trotz gesundheitlicher Einschränkungen so neu strukturieren können, um weiter tätig zu sein. Ist eine solche Umgestaltung möglich, liegt kein BU-Rentenanspruch vor. Das gilt aber nur, wenn die Umgestaltung zumutbar ist. Sind zu hohe Investitionen notwendig, kann der Unternehmer den Betrieb gar nicht mehr leiten oder ist eine neue Tätigkeit durch das Krankheitsbild nicht möglich, ist die Umorganisation nicht zumutbar.

Die Prüfung führen die Versicherer in der Regel nur bei größeren Betrieben über fünf Mitarbeitern durch. Dabei gibt es aber immer wieder Streit. Denn die Prüfung ist kompliziert. Davon zeugen etliche Urteile. Daher ist es gerade für Selbstständige, die größere Betriebe haben, ein echter Vorteil, wenn nun – wie bei der Condor und der R+V – auf diese Prüfung ganz verzichtet wird. Der Unternehmer hat somit mehr Sicherheit, dass er eine BU-Rente erhält. Das sehen auch Praktiker so. „Das Streichen der Umorganisationsklausel für Selbstständige begrüße ich uneingeschränkt“, so Experte Kemnitz. Er fordert, dass andere Versicherer diesem Beispiel folgen sollten. Auch Versicherungsmakler Lehberg betont den Mehrwert vor allem für mittelständische Unternehmer. Trotzdem müsse man bei der Beratung weiterhin in vielen Fällen Kompromisse eingehen. Lehberg: „So habe ich bei Condor nur sehr begrenzte Nachversicherungsgarantien und eine frühe Deckelung der maximalen Rente durch die Dynamik.“ Daher reiche der Schutz für größere Unternehmer oft nicht und ein zusätzlicher Versicherer müsse mit ins Boot geholt werden.

„Die Nachmeldepflichten bei Berufsaufnahme gibt es in den vergangenen fünf Jahren nicht mehr, sie sind quasi aus den Produkten herausgewachsen“, erläutert Philipp Wedekind, Leiter Ratings Vorsorge und Nachhaltigkeit bei Franke und Bornberg. Er sieht dadurch eine Gefahr für die stabile Kalkulation der Versicherer. Ganz pragmatisch bewertet dies hingegen Versicherungsmakler Kemnitz. „Die Berufsunfähigkeitsversicherung noch als Schüler abzuschließen, ist heute gerade für Jugendliche mit handwerklichem Berufsziel häufig die letzte Möglichkeit, diese wichtige Versicherung zu bezahlbaren Beiträgen abzuschließen“, plädiert er für einen ganz frühzeitigen BU-Schutz. Das sei zudem wichtig, weil es zunehmend psychische Erkrankungen in jungen Jahren gebe. Danach sei der Zugang zur BU fast unmöglich. Versicherungsmakler Helberg bestätigt, dass immer mehr Personen Versicherungsschutz suchen, die zumindest aktuell in der BU nicht versicherbar sind. „Oft sind psychische und psychosomatische Krankheiten die Ursache, manchmal Krebs, Multiple Sklerose oder mehrere kombinierte Vorerkrankungen.“ 

Fazit: Es kommt auch bei den Neuerungen auf den Einzelfall an. Vermittler sollten sie ihren Kunden erklären. Ob sie am Ende den Ausschlag für die Wahl eines bestimmten Anbieters geben, entscheiden einmal mehr die individuellen Kundenbedürfnisse.