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Chinesische Marken: Neue Lieblinge in der Heimat

Februar 2021
Weshalb sich der Blick auf Markennamen aus dem Reich der Mitte lohnt, erklärt René Kerkhoff, Analyst für die Sektoren Technologie, Automotive und Retail bei der DJE Kapital AG
DJE Kapital AG
René Kerkhoff, DJE Kapital AG

Ob schicke Sportschuhe, Babynahrung, Make-up oder luxuriöse Elektro-SUVs: Durch geschicktes Marketing, günstige Preise und nicht zuletzt durch den Appell an das Nationalgefühl machen chinesische Marken auf ihrem Heimatmarkt den globalen Anbietern ernstzunehmende Konkurrenz, betont René Kerkhoff, Analyst für die Sektoren Technologie, Automotive und Retail sowie Fondsmanager des DJE – Mittelstand & Innovation bei der DJE Kapital AG.

Nach Skandal – chinesische Produzenten gewinnen Konsumentenvertrauen

Im Jahr 2008 erschütterte ein Skandal um verseuchtes Milchpulver die jungen Eltern im Reich der Mitte. Mindestens sechs Babys starben – und etwa 300.000 wurden schwer krank, nachdem sie eine in China hergestellte Säuglingsnahrung getrunken hatten. Diese enthielt die giftige Industriechemikalie Melamin. Der Stoff, der einen höheren Eiweißgehalt der Kleinkindernahrung vortäuschen sollte, führte zu schweren Nierenerkrankungen. Das Vertrauen in chinesische Säuglingsnahrungshersteller war dadurch zutiefst gestört. Viele chinesische Eltern stiegen auf ausländische Marken um, deren Qualität als sicher galt. Als Reaktion auf den Eklat stellten mehrere Länder, darunter Singapur und Japan, den Import von chinesischer Milch ein. Die EU verschärfte das bereits bestehende Importverbot von Milch und Milchprodukten aus China. Die chinesische Regierung verhängte drastische Strafen über die Verantwortlichen und versicherte, zukünftig entschlossen gegen Probleme bei der Lebensmittelsicherheit vorzugehen.

Inzwischen hat sich die Lage gewandelt. Unter den chinesischen Milchpulverproduzenten hat es die China Feihe Ltd. aus Peking geschafft, das Verbrauchervertrauen zurückzugewinnen und ist seit zwei Jahren führender Anbieter für Babynahrung in China. Zu Beginn war der Erfolg wohl an eine Branding-Kampagne geknüpft, die eine ausländische Provenienz implizierte: Bis 2013 war Feihe als American Dairy Inc. an der New York Stock Exchange notiert. Nach der Rückkehr zu ihrem chinesischen Namen betont Feihe, die heimische Babynahrung habe die höchste Qualität in der Geschichte und sei vergleichbar mit der der führenden globalen Marken. Außerdem verspricht die Werbung, dass ihr Produkt besser auf die Bedürfnisse chinesischer Babys abgestimmt sei als ausländische Erzeugnisse.

Zunehmender Wettbewerbsdruck für globale Marktführer

Global führende Anbieter von Babynahrung wie Nestlé oder Danone sind auf dem chinesischen Markt mittlerweile einem höheren Konkurrenzdruck durch die lokalen Anbieter ausgesetzt als noch vor wenigen Jahren. Corona hat diese Entwicklung weiter beschleunigt. Im Verlauf der Pandemie hat die chinesische Regierung den sogenannten Daigou-Handel – das bedeutet eine Person außerhalb Chinas kauft Waren für eine in China lebende Person – massiv eingeschränkt. In der Folge konnten die hohen Wachstumsraten der Vergangenheit von Nestlé und Co. nicht gehalten werden. Die rückläufige Geburtenrate in China tat ihr Übriges.

Verbesserte Qualität chinesischer Produkte

Egal ob Babynahrung, Mineralwasser, Sportbekleidung oder Hautcreme – die in China heimischen Marken machen den bekannten Marken global agierender Konzerne Konkurrenz. Qualitativ haben die chinesischen Anbieter inzwischen praktisch in allen Sparten massiv aufgeholt. Sportschuhe führender chinesischer Produzenten wie Anta Sports sind qualitativ mit den Produkten von Nike, Adidas und Co. vergleichbar, aber oftmals wesentlich günstiger. 2020 stellte erstmals ein einheimischer Produzent den – für eine gewisse Zeit – angesagtesten Turnschuh her. Doch es war nicht die verbesserte Qualität allein. In den vergangenen Jahren hat auch ein zunehmendes Nationalbewusstsein („Buy Chinese“ bzw. „Kauft chinesisch“) den einheimischen Produkten Auftrieb gegeben.

Corona-Pandemie verstärkt den Wandel

Die Covid-19-Pandemie hat auch diesen Wandel verstärkt. In Zeiten knapper oder unsicherer Haushaltsbudgets nimmt die Attraktivität günstigerer Waren zu und die lokal hergestellten Produkte kosten meist deutlich weniger als die ausländischer Markenanbieter. Hinzu kommt: Lokale Marken sind meist auch bei den führenden chinesischen Online-Plattformen besser positioniert. Da diese Plattformen in der Pandemie großen Zulauf erfahren haben, haben die multinationalen Unternehmen gegenüber den chinesischen Marken in Marketing und Vertrieb einen zunehmend schweren Stand.

Premium-Segment – noch von ausländischen Herstellern dominiert

Marktforscher bestätigen: chinesische Käufer haben inzwischen ein stärkeres Vertrauen in lokale Marken. Nach Angaben von Daxue Consulting stellen lokale Firmen mittlerweile sieben der zehn größten Kosmetikmarken. Noch 2017 waren es nur drei. Aufstrebende chinesische Marken wie die Kosmetikanbieter Perfect Diary oder Yatsen sind vom ersten Tag an eher digital, etwa bei Tmall, einem Online-Einzelhändler der Alibaba Group, präsent und investieren sehr viel in Marketing über Social-Media-Kanäle. Das drückt auf die Gewinnspanne. Yatsen zum Beispiel hat eine operative Marge von nur etwa 5 Prozent. Multinationale Unternehmen wie Estée Lauder und L’Oréal investieren zwar ebenfalls sehr viel in ihr Online-Angebot, lenken den Fokus aber ganz klar auf das deutlich profitablere Premium-Segment. Vor diesem Hintergrund sind die Marktanteilsverluste der Make-up-Linie Maybelline von L’Oréal im chinesischen Massenmarkt von rund 10 Prozent seit 2010 nicht verwunderlich. Gleichzeitig hat L’Oréal aber im Premium-Segment mit Yves Saint Laurent und Giorgio Armani zwei neue Make-up-Marken erfolgreich etabliert und konnte in den vergangenen fünf Jahren rund 15 Prozent Marktanteil hinzugewinnen. Gefährlich dürfte es für die westlichen Kosmetikhersteller daher erst werden, wenn die chinesischen Konkurrenten auch in das wesentlich lukrativere und schneller wachsende Premium-Segment für Hautpflege vordringen. Bislang kann sich hier L’Oréal mit der Marke Lancôme noch sehr gut behaupten.

Für den chinesischen Geschmack

Das Marketing der chinesischen Unternehmen kommt bei den Einheimischen an. Während die ausländische Marke den Nährwert ihrer Säuglingsnahrung anpreist, pflegt die einheimische Marke Feihe die Beziehungen zu den Verbrauchern über Treueprogramme, Hilfsgruppen für frischgebackene Eltern oder Buchbände mit Gute-Nacht-Geschichten. Und chinesische Marken passen ihre Waren zunehmend an den heimischen Geschmack an. China Mengniu Dairy Co. steigerte beispielsweise den Verkauf seiner Milchprodukte durch Innovationen wie Käse mit Ananasgeschmack und Snacks mit Tintenfisch zusätzlich zum Basisangebot aus Milch und Fruchtjoghurt.

Nur wenige internationale Konzerne sind ebenso agil und operieren mit innovativen Vertriebsstrategien. So verkaufte Estée Lauder am chinesischen Singles’ Day1 – mit einer Livestreaming-Kampagne, Zwei-für-Eins-Rabatten und Ratenzahlungsplänen – Produkte für mehr als 2 Milliarden Yuan (mehr als 250 Millionen Euro). Und die auf Geflügel spezialisierte US-Fast-Food-Kette Kentucky Fried Chicken (KFC) – immer noch die größte in China – ergänzte ihr Brathuhn für Kunden, die in der Pandemie zu Hause festsaßen, mit Produkten wie schnellkochenden, sauren Schneckennudeln. Ausländische Marken dominieren bis heute in Hochpreis-Kategorien wie exklusiven Handtaschen und Luxusautos. Doch gerade die Autohersteller müssen aufpassen.

Automarkt: Der Vorsprung deutscher Topmarken schmilzt

China ist mit Abstand der größte Automarkt der Welt – und daher ein Schlüsselmarkt für deutsche Hersteller. Diese haben einen sehr guten Ruf. Bislang kaufen die Chinesen gern die top ausgestatteten Luxusmodelle und die Profitabilität in China ist für deutsche Hersteller ungleich höher als in Deutschland. Doch einer aktuellen Umfrage zufolge ist das angesagteste Auto in China kein Porsche oder Tesla mehr, sondern ein NIO. Die Marke gibt es erst seit 2014 und kann sich in Sachen Tradition und Strahlkraft (zumindest noch) nicht mit europäischen Marken messen. Dennoch hat NIO mit seinem Elektro-SUV bei Qualität und Design einen Riesensprung gemacht, bietet eine ordentliche Reichweite und ist deutlich günstiger als etwa ein vergleichbares Modell von BMW. Der Wettbewerbsdruck auf europäische Hersteller steigt durch chinesische Anbieter zunehmend.

Chinesische Automarken punkten mit innovativen Geschäftsmodellen

NIO ist nicht allein. Weitere chinesische Autohersteller wie BYD, BAIC oder Geely drängen derzeit mit neuen E-Autos auf den Markt. Sie winken nicht nur mit moderner Technik und günstigeren Preisen, sondern gehen auch neue Wege. So spart sich die dreijährige Geely-Tochter Lynk & Co ein teures Vertriebsnetz. Konfiguriert und bestellt wird online. Alternativ zum Kauf bietet Lynk auch ein günstiges Abo-Paket inklusive Wartung, Steuer und Versicherung an, bei dem die Abonnenten ihr Auto mit Dritten teilen und so auch noch Geld verdienen können. Auch Aiways startet mit einem ungewohnten Konzept für sein E-SUV. Es wartet dank neuer Akkutechnologie mit großer Reichweite auch bei Minusgraden zu einem konkurrenzfähigen Preis auf – und das nicht nur in China. In Europa können Kunden den Wagen bei den Filialen des Elektronikhändlers Euronics Probe fahren. Bestellt wird online und für die Wartung hat sich Aiways mit dem Kraftfahrzeugzubehör- und Autoteilehändler A.T.U. zusammengetan, der ein weites Werkstattnetz betreibt. Herzstück der E-Mobilität ist die Batterie. Daher brauchen Autohersteller eine Partnerschaft mit erfolgreichen und innovativen Batterieherstellern. Einer der weltweit führenden Batteriehersteller heißt CATL und sitzt in China – ein möglicher Vorteil für chinesische Automarken.

Chinesische Anbieter holen auf – und bieten interessante Anlagemöglichkeiten

Westliche Marken haben in China noch immer einen hohen Stellenwert. Doch chinesische Anbieter haben branchenübergreifend massiv aufgeholt oder sind ihrer ausländischen Konkurrenz mit Blick auf Marketing und Vertrieb oder sogar technisch zum Teil eine Nasenlänge voraus. Die E-Mobilität ist nur ein Beispiel dafür. „Kauft chinesisch“ kommt bei den chinesischen Kunden auch gut an. Für Investoren erweitern sich dadurch die Möglichkeiten, in den chinesischen Binnenmarkt zu investieren.