FONDS exklusiv: Herr Ehrhardt, vor genau 35 Jahren haben Sie den FMM-Fonds aufgelegt und die gleichnamige Analysemethode ins Leben gerufen. Können Sie auf die drei zugrundeliegenden Faktoren näher eingehen?
Jens Ehrhardt: Die FMM-Methode basiert auf meiner Doktorarbeit, die ich 1974 an der Ludwig-Maximilians-Universität München eingereicht habe. Dabei ging ich davon aus, dass fundamentale, monetäre und markttechnische Faktoren die Kurse bestimmen.
Weshalb gerade diese drei Faktoren?
J. E.: Es ist zunächst wichtig, dass man in fundamental gut abgesicherte Märkte und Aktien investiert. Märkte können aufgrund monetärer Faktoren, wie z. B. Hyperinflation, oder aufgrund geopolitischer Faktoren, wie sanktionierte Märkte, ausscheiden. Aktien können aus fundamentalen Gründen aus Kaufüberlegungen ausscheiden, wenn die Bilanz eines Unternehmens zu schlecht ist oder das Geschäftsmodell keine Zukunftsaussichten hat. Seit der Gründung wurde auch auf Nachhaltigkeitskriterien Wert gelegt, weil z. B.nie Rüstungsaktien gekauft wurden.
Wie haben verschiedene Entwicklungen, so etwa die Null-Zinspolitik, die FMM-Methode immer wieder verändert?
J. E.: Ich liebe wissenschaftliche Systematisierungen und klare dauerhafte Definitionen von Kursbestimmungsfaktoren. Ich denke, dass, abgesehen von Schwarzen Schwänen, wie etwa Pandemien oder Kriege, die Faktoren fundamental, monetär und markttechnisch unverändert eine Prognose am Aktienmarkt am besten ermöglichen.
Welche dieser drei Faktoren haben derzeit den größten Einfluss auf den FMM-Fonds?
J. E.: Die Zusammenstellung der drei Faktoren wurde seit der Entwicklung der FMM-Methode Anfang der 1970er Jahre nicht verändert. Es gibt aber eine Verschiebung des Einflusses zwischen den drei Faktoren. Heute ist der monetäre Faktor angesichts der rekordhohen Inflation sicherlich am wichtigsten. Hohe Inflation heißt Bremspolitik der Notenbanken, was sich in der Vergangenheit ohne Ausnahme immer sehr negativ auf die Aktienmärkte ausgewirkt hat. Kurzfristig werden solche längerfristigen Trends allerdings durch die markttechnischen Einflüsse verzerrt.
Bitte erläutern Sie das näher!
J. E.: Wenn extrem viel Pessimismus herrscht, der sich in den Stimmungsindikatoren widerspiegelt, kann es auch zu erheblichen Aufwärtsbewegungen in einem Abwärtstrend kommen. Das gleiche gilt für Abwärtsbewegungen innerhalb eines Aufwärtstrends. Die Markttechnik bestimmt also die kurzfristigen Börsenaussichten, z. B. auf drei bis sechs Monate Sicht, während die monetären Faktoren einen Trend auf mehrere Jahre bestimmen.
Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die steigende Inflation und die Notenbankpolitik?
J. E.: Die Notenbankpolitik ist der wichtigste Faktor im Bereich der monetären Kursbestimmungsfaktoren. Hohe und steigende Inflation hat bisher immer die Notenbanken mit einer Bremspolitik auf den Plan gerufen, um die volkswirtschaftliche Nachfrage zu dämmen. Die Notenbank-Politik kann eine Inflation durch eine zu reichliche Geldversorgung auslösen und durch eine Rücknahme der Geldmengensteigerung bremsen. Die Notenbankpolitik kann allerdings neben wirtschaftlichen Faktoren durch politische Einflussnahme unterlaufen werden. In Rezessionen drängen Regierungen häufig auf niedrigere Zinsen, als es der Notenbank zur Inflationsbekämpfung angemessen erscheint.
Anleihen machten im FMM-Fonds zuletzt etwas mehr als 16 Prozent des Vermögens aus. Die größte Position entfällt auf eine US-Staatsanleihe. Ist das Schlimmste auf den Bond-Märkten ausgestanden?
J. E.: Der FMM-Fonds ist ein gemischter Fonds und hat deshalb in der Regel einen wechselnden Anteil in Anleihen investiert. In letzter Zeit hatten US-Staatsanleihen die höchsten Zinsen bei gleichzeitig bester Bonität. Der Hochpunkt in der US-Inflation in diesem Sommer dürfte auch zu einem Hochpunkt der US-Zinsen im 4. Quartal 2022 führen.
Wie sieht Ihre mittelfristige Inflationseinschätzung aus und welche Folgen erwarten Sie für die Märkte?
J. E.: Die Inflationsraten dürften auf absehbare Zeit besonders in Europa deutlich steigen bzw. relativ hoch sein. In den USA werden sie wahrscheinlich schneller zurückgehen, da dort die Bremspolitik konsequenter ist. Ohne geopolitische Einflüsse könnte eine lockerere Geldpolitik in Europa aber die europäischen Aktienmärkte begünstigen. Für den Euro hätte dies gegenüber dem US-Dollar mittelfristig wahrscheinlich wiederum negative Auswirkungen. In den nächsten Monaten dürften die Inflationsraten jedoch noch auf relativ hohem Niveau sein, so dass die Auswirkungen von diesem Faktor weiterhin klar negativ für die Aktienmärkte sind. Anleihemärkte drehen hingegen vor den Aktienmärkten und dürften das Schlimmste hinter sich haben.
Weshalb sind US-Aktien mit nur rund 30 Prozent derzeit gewichtet? Für einen Mischfonds ist das eine ungewöhnlich niedrige Quote.
J. E.: Der US-Anteil wird wieder über 30 Prozent steigen, wenn der monetäre Faktor (Zinssenkungen der Notenbank) günstiger einzuschätzen ist. Nach dem guten Abschneiden von Wall Street-Aktien in den vergangenen Jahren aufgrund besserer Gewinne könnte nunmehr Europa wegen günstiger Währungsverhältnisse (Abwertungsgewinne) besser abschneiden, wobei die wesentlich niedrigere Gewinn- und Substanzbewertung von Unternehmen gegenüber den USA die Risiken von Kursverlusten vermindern sollte. Bei einer Kehrtwende der US-Notenbank sollte die Wall Street aber erneut sehr gut abschneiden, wobei dann aber ein Rückschlag des US-Dollars in stärkerem Ausmaß möglich ist.
Aus Deutschland haben Eon und RWE auffällig hohe Gewichtungen im FMM-Fonds. Was reizt an deutschen Energieversorgern aktuell?
J. E.: E.ON und RWE sind zwei defensive Aktien, die dividenden- und gewinnstark sind. Damit sind sie defensiv in einem schwierigen Konjunkturklima. Elektrifizierung ist ein längerfristiger Wachstumsbereich, in dem beide Unternehmen als Netzversorger oder Stromerzeuger stark engagiert sind. Beide Unternehmen erfüllen auch unsere Nachhaltigkeitskriterien. RWE etwa ist der zweitgrößte europäische Produzent regenerativer Energie und für E.ON gibt es als Netzversorger (auch für Strom aus Wind und Sonne) keine Nachhaltigkeitsprobleme.
Wie hoch schätzen Sie die Gefahr ein, dass es infolge des Ukraine-Kriegs oder Spannungen rund um Taiwan zu einer weiteren starken Korrektur an den Aktienmärkten kommt?
J. E.: Der Ukraine-Krieg ist eine Dauerbelastung besonders für die europäischen Börsen. Die augenblickliche Energieverteuerung ist für Deutschland eine extrem hohe Belastung, die zu zahlreichen Konkursen führen wird. Deutschland hat vitales Interesse an niedrigen Energiekosten und ungestörtem Welthandel. Eine Fortsetzung der Globalisierung ist deshalb für Deutschland sehr wichtig. Ein längerer Ukraine-Krieg, wie auch ein Krieg um Taiwan, wäre für die Aktienmärkte sehr negativ. Deutschland müsste sich dann zwischen den USA und China entscheiden. Grundsätzlich gilt, dass nur zehn Prozent der Weltbevölkerung in Demokratien lebt, die europäischen Standards gerecht werden. Hier liegt eine potenzielle Gefahr speziell für europäische Aktien im Hinblick auf deren hohen Exportanteil.
Wie sieht insgesamt Ihr Blick in das Jahr 2023 aus?
J. E.: Das Jahr könnte im ersten Halbjahr noch einmal von anhaltenden monetären Bremsmaßnahmen der Notenbanken gekennzeichnet sein, die aber im Jahresverlauf zurückgefahren oder bei schlechter Konjunktur ins Gegenteil umgekehrt werden. Expansive Notenbanken könnten im Jahresverlauf 2023 somit eine überraschend starke Aktienhausse auslösen. Auch festverzinsliche Papiere und Gold sollten dann profitieren.