Ankündigungen zur Weiterentwicklung selbstfahrender Fahrzeuge machen aktuell weltweit die Runde: Wo stehen wir in Bezug auf das sogenannte Robotaxi und autonomes Fahren? Wer macht das Rennen? Eine Bestandsaufnahme mit Blick auf die möglichen Chancen für Anleger wagt Adrian Daniel, Portfoliomanager im Team Globale Aktien/Absolute Return Multi Asset bei MainFirst Asset Management.
Tesla-Investoren erwarten den 10. Oktober mit großer Spannung. Es ist der Nachholtermin für die Vorstellung von Neuerungen im Bereich des Autonomen Fahrens, die Elektroauto-Pionier Tesla ursprünglich bereits für den 08. August 2024 angekündigt hatte. „Tesla ist dafür bekannt, bei Zielankündigungen oftmals zu sportliche Zeitangaben zu machen. Daher wundert die Terminverschiebung nicht und erhöht letztendlich nur den Spannungsbogen“, ordnet Aktienexperte Daniel ein.
Klar sei bereits jetzt: Das Rennen um die Führungsposition der Anbieter von sogenannten Robotaxis gewinne weiter an Tempo. Tesla habe angekündigt, einen autonomen Fahrservice für das erste Quartal 2025 in China und Europa einführen zu wollen – vorausgesetzt, die zuständigen Behörden würden die Genehmigung erteilen. „Das setzt die Konkurrenz unter Druck. Jeder möchte möglichst schnell den Markt besetzen, denn man muss davon ausgehen, dass analog zu den Erfahrungen von Shared-Services der Platzhirsch den Großteil der Profite der gesamten Industrie auf sich vereinen wird“, so Daniel.
Bei Tesla könne der technologische Durchbruch mit der Software des Tesla-Autopiloten Version 12.5 gelingen: „Hierbei wurden vorhergehende Erkenntnisse in der Programmierung weitgehend über Bord geworfen. Vielmehr setzt Tesla nun auf KI-basierte Entscheidungsfindung des Fahrzeugs auf Basis der gesammelten Daten der im Umlauf befindlichen Teslas“, ordnet Daniel ein. Das Fahrerlebnis des Full-Self-Driving solle mit der neuen Software-Version laut ersten Erfahrungsberichten auf Youtube „menschlicher“ werden: Befindet sich beispielsweise eine Katze vor dem Fahrzeug, komme das Fahrzeug nicht abrupt zum Stehen, sondern würde mit reduzierter Geschwindigkeit auf die Katze zufahren, da diese üblicherweise das Weite suche, sobald sie das Fahrzeug wahrnehme. Das Fahrverhalten könne, unterstützt durch die KI, in Millisekunden auf die Reaktion des Tieres angepasst werden, sodass die Fahrt flüssiger verlaufe. „Sollte Tesla wirklich in der Lage sein, den Sprung vom aktuellen Status des Autopiloten Level 2/3 auf die Vollautomatisierung eines Robotaxi mit den existierenden Fahrzeugen zu schaffen, könnten die Auswirkungen für die Mobilität der Zukunft flächendeckend sein“, kommentiert der MainFirst-Experte.
Da Tesla im Gegensatz zu anderen Robotaxi-Dienstleistern nicht mit Kartenmaterial für bestimmte Fahrgebiete operiere, sondern die gesammelten Daten der weltweit mehr als sechs Millionen fahrenden Autos nutzen wolle, sei eine Einführung des Full-Self-Driving ungleich komplexer – aber eben auch erfolgversprechend, wenn sie gelinge. Auch wenn Tesla bis dato keinen Robotaxi-Service angeboten habe, scheine in der bereits ab Werk verbauten Hardware und den vorhandenen Daten der existierenden Flotte ein signifikanter Vorteil gegenüber den Mitbewerbern zu bestehen: „Der vorherrschende Weg der Tesla-Konkurrenten, einem Fahrzeug dank einer möglichst genauen Programmierung des Umfelds in künstliche Karten die autonome Bewegung zu ermöglichen, scheint nicht nur zu kostenintensiv, sondern auch schwer skalierbar“, so der Portfoliomanager. Die Umsetzung setze zur Erkennung des Echtzeit-Umfelds die Lidar-Sensorik voraus. „Die Meldung der im überwiegenden Besitz von Intel Corp. befindlichen Mobileye, die Forschung & Entwicklung der Lidar-Technologie zu beenden, spricht dafür, dass Wettbewerber wie Waymo oder Cruise es mit ihren Fahrzeugen schwer haben dürften“, sagt Daniel.
Robotertaxi-Pionier Waymo sei grundsätzlich auf Expansionskurs und verzeichne mittlerweile mehr als 100.000 bezahlte Fahrten pro Woche. Insbesondere die regionale Ausweitung des Waymo-Service von ursprünglich Phoenix auf nun auch San Francisco und Los Angeles sorge für zusätzliche Fahrten. Eine kürzlich beschlossene Finanzspritze von Konzernmutter Alphabet in Höhe von fünf Milliarden US-Dollar dürfte die Expansionsstrategie zudem befeuern, weiß Investmentprofi Daniel. Aktuell umfasse die Taxi-Flotte bestehend aus umgebauten Jaguar I-Pace Fahrzeugen knapp 700 Fahrzeuge. „Die Kosten pro Fahrzeug werden zwar nicht veröffentlicht, dürften jedoch auf Basis von Schätzungen bei circa 250.000 Dollar liegen, was für ein flächendeckendes Angebot der Dienstleistung extrem hohe Investitionen vorab voraussetzt“, kommentiert er.
Cruise sei die Einheit für autonomes Fahren bei General Motors. „Dort gibt es vergleichbare Hürden wie bei Waymo: Im Fall von Cruise stiegen die Kosten pro Fahrzeug des eingesetzten Chevrolet Bolt von einem Grundpreis in der Basisversion von unter 30.000 US-Dollar durch den Umbau zum Robotaxi auf mehr als 150.000 US-Dollar an“, rechnet Daniel vor. Im Zuge der hohen Anlaufverluste wurde das Investitionsbudget zunächst gestutzt. Anschließend wurden von Cruise Partnerschaften wie mit der Fahrdienstplattform UBER Technologies geschlossen, um die Flottenauslastung zu erhöhen.
In Wuhan habe in der Zwischenzeit Apollo Go seinen Robotaxi-Service auf 100 Prozent fahrerlos umgestellt. Apollo Go stelle als Einheit des chinesischen Technologieriesen Baidu den derzeit führenden autonomen Mobilitätsservice im Reich der Mitte dar. Mit rund 900.000 Fahrten im zweiten Quartal habe Apollo Go ein Wachstum von 26 Prozent vorweisen können. „Die Abschaffung der Sicherheitsperson fügt sich bei Apollo Gos Angebot fließend in die Wachstumsstrategie ein, welche sich stark über den günstigen Preis definiert. So könnten mit der sechsten Generation die Kosten pro Fahrzeug um rund 60 Prozent auf umgerechnet 26.000 Euro reduziert werden“, analysiert der MainFirst-Portfoliomanager. Für eine Strecke von 8 Kilometern werden dem Fahrgast weniger als 1,50 Euro belastet. „Das bereitet der Konkurrenz von Mobilitätsdiensten wie beispielsweise Didi zunehmend Sorge“, so Daniel.
Während in China im August erstmals mehr elektrifizierte Fahrzeuge als Verbrenner neu zugelassen wurden, beurteilt der Anlageprofi die zunehmende Regulierung innerhalb Europas als Bremsklotz für Innovation in der einstigen Vorzeigebranche: „Bei Volkswagen wird offen über betriebsbedingte Kündigungen sowie Standortschließungen in Deutschland aufgrund zu hoher Produktionskosten gesprochen. Dabei sprechen sich generell gerade die deutschen Premiumhersteller für Technologieoffenheit aus.“