Etwa 46 Millionen Erwerbstätige gibt es in Deutschland. Davon hat jedoch nur ein Bruchteil eine Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) abgeschlossen. Laut dem Analysehaus Morgen & Morgen liegen nur rund 14,5 Millionen BU-Verträge in den Beständen der Versicherer. Demnach hätten etwa 70 Prozent der Arbeitnehmer keinen Schutz, wenn sie aus Krankheitsgründen oder wegen eines Unfalls nicht mehr arbeiten können. Problem: Jeder vierte Arbeitnehmer wird im Laufe seines Lebens berufsunfähig, zeigt eine Studie der Deutschen Aktuarvereinigung. Aus einer BU können Versicherte eine monatliche Rente erhalten, wenn sie aus gesundheitlichen Gründen ihren Beruf nicht mehr zu mindestens 50 Prozent ausüben können.
PSYCHISCHE ERKRANKUNGEN SIND DIE HÄUFIGSTE URSACHE
Seit Jahren sind psychische Erkrankungen die häufigste Ursache bei den anerkannten Leistungsfällen in der BU, vor allem Personen bis 50 Jahre sind betroffen. An zweiter Stelle stehen Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparats. Unter gewissen Voraussetzungen erhalten Betroffene vom Staat die so genannte halbe oder volle Erwerbsminderungsrente. So oder so reicht diese jedoch gewöhnlich nicht aus, um die finanzielle Belastung im Fall einer Berufsunfähigkeit auffangen zu können. Für eine ausreichende Absicherung ist eine BU die erste Wahl. Wer gesund ist und keine Vorerkrankungen hat, dürfte in der Regel keine Probleme haben, eine BU zu bekommen. Mit Vorerkrankungen wird es schwieriger. Genau 79,5 Prozent werden von den Versicherern angenommen (siehe Grafik). Alle anderen müssen mit Ablehnungen, Leistungsausschlüssen oder Beitragszuschlägen rechnen.
Ein zweites Problem ist, dass nicht alle Berufe mit einer BU gleich gut abgesichert werden können. Denn die Versicherer staffeln ihre Beiträge nach der Höhe der möglichen Gefahren einer Tätigkeit. So zahlen Handwerker im Vergleich zu kaufmännisch Tätigen je nach Beruf bis zu viermal so viel für den Einkommensschutz. Das Ratinghaus Franke und Bornberg stellt aktuell fest, dass die hohe Produktqualität im Markt durch ungleiche Chancen auf bezahlbaren Versicherungsschutz relativiert wird: „BU-Versicherer schreiben die Entwicklung zur Klassengesellschaft fort. Insbesondere für Akademiker wird das Angebot seit Jahren nicht nur besser, sondern noch günstiger.“ Wer körperlich arbeite, müsse sich hingegen den teuren BU-Schutz vom Mund absparen. „Ob Krankenschwester, Pfleger, Busfahrer oder Handwerker – gerade jene Berufe, die unsere Gesellschaft zusammenhalten, fallen durchs Raster“, kritisiert Geschäftsführer Michael Franke. Menschen mit höheren Berufsrisiken zahlten hohe und damit oft unbezahlbare Beiträge.
Für Vermittler ist dieses Problem nicht trivial. Und dies, obwohl sogar Verbraucherschützer unisono eine BU für notwendig erachten. Eine Alternative könnte eine Grundfähigkeitsversicherung sein. Sie stellt jedoch nur teilweise eine echte Arbeitskraftabsicherung dar. Da sie nichts mit dem ausgeübten Beruf zu tun hat, werden nur die Fähigkeiten abgesichert, die bei der Ausübung des Berufs gefordert sind. Eine Arbeitsunfähigkeitsklausel könnte in dem Fall helfen. Die Versicherung zahlt die volle Rente, wenn der Versicherte mindestens sechs Monate arbeitsunfähig krankgeschrieben ist. Weitere Option: die Erwerbsunfähigkeitsversicherung. Die versicherte Person erhält sie nur, wenn sie nicht mehr als drei Stunden am Tag arbeiten kann – unabhängig vom Beruf.
VORZÜGE EINER BETRIEBLICHEN BU
Einen alternativen Weg könnte eine betriebliche BU (bBU) ebnen. Diese kann als Entgeltumwandlung arbeitnehmerfinanziert sein. Die arbeitgeberfinanzierte Variante könnte Arbeitgebern im Wettbewerb um qualifizierte Fachkräfte helfen. Daneben gibt es mischfinanzierte Modelle. Laut den Analysten von Franke & Bornberg können sich die Produkte der betrieblichen BU-Versicherung überwiegend sehen lassen (siehe Tabelle). So erhielten zuletzt 62,5 Prozent der getesteten Produkte die Höchstnote „FFF+“ bzw. „hervorragend“ (siehe Schaubild oben). Dabei wurden 32 Tarife von 26 Anbietern auf 64 Leistungskriterien hin durchleuchtet.
Selbst wenn Arbeitnehmer die BU selbst finanzieren, kann dies von Vorteil sein. Zum einen erlaubt eine Obliegenheitserklärung des Arbeitgebers verkürzte und vereinfachte Gesundheitsfragen, sodass Zuschläge oder Ausschlüsse entfallen. Ein Beispiel für eine solche Erklärung: „Der Arbeitgeber erklärt, dass die zu versichernde Person arbeitsfähig ist und in den vergangenen zwei Jahren nicht länger als vier Wochen arbeitsunfähig war.“ Das kann gerade für Mitarbeitende von Vorteil sein, die körperlich arbeiten und nur unter erschwerten Bedingungen eine private BU bekommen. Wenn überhaupt. Bei einem Arbeitgeberwechsel kann beim Durchführungsweg der Direktversicherung – auch bei der mischfinanzierten Entgeltumwandlung – der Vertrag vom Versicherten privat weitergeführt oder vom neuen Arbeitgeber übernommen werden. Die Befürworter der bBU erläutern, dass der alte Arbeitgeber die versicherungsvertragliche Methode anwenden kann und damit keinen unnötigen Haftungsrisiken ausgesetzt sei.
Außerdem werden die Beiträge zur bBU aus dem unversteuerten Brutto- und nicht vom Nettolohn bezahlt. Damit sparen Arbeitnehmer Steuern und Sozialabgaben, weil sich das Bruttogehalt schmälert. Auch die Arbeitgeber sparen Sozialabgaben. Schließlich werden die Beiträge durch Gruppenvertrags-Konditionen mit reduzierten Abschlusskosten niedriger sein.
NACHTEILE EINER BETRIEBLICHEN BU
Bei einer betrieblichen BU schließt der Arbeitgeber den Vertrag mit dem Versicherer. Er wählt den Anbieter und handelt die Konditionen für einen Gruppentarif aus. Da der Arbeitgeber Versicherungsnehmer ist, können eventuelle Krankheiten des Arbeitnehmers im Antrag oder im Leistungsfall kaum dem Arbeitgeber gegenüber verschwiegen werden. Dies wird nicht im Sinne des Arbeitnehmers sein. Eine private BU-Police kann dem individuellen Bedarf des Kunden angepasst abgeschlossen werden – unabhängig vom Arbeitgeber. Bei einer bBU könnte z. B. die Laufzeit beschränkt oder die maximal mögliche BU-Rente gedeckelt sein, so dass nicht das Nettoeinkommen versichert werden kann. Oder es fehlen wichtige Elemente wie eine Leistungsdynamik zum Inflationsausgleich im Leistungsfall.
Der größte Nachteil der bBU liegt in der vollen Versteuerung in der Auszahlungsphase. Dazu kommen die vollen Abgaben (Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil) zur Kranken- und Pflegeversicherung. Anders die private BU: Hier zählt die im Leistungsfall ausgezahlte BU-Rente steuerrechtlich zu den abgekürzten Leibrenten, die nur mit dem so genannten Ertragsanteil zu versteuern sind. Dessen Höhe bemisst sich nach der voraussichtlichen Restlaufzeit der BU-Rente. Beispiel: Hat ein Single eine BU mit einer monatlichen BU-Rente von 2.000 Euro bis zum 67. Lebensjahr abgeschlossen und wird im 32. Lebensjahr berufsunfähig, beträgt die voraussichtliche Bezugsdauer 35 Jahre und der Ertragsanteil 35 Prozent. Von der übers Jahr erhaltenen BU-Rente in Höhe von 24.000 Euro sind damit 8.400 Euro steuerpflichtig, rechnet das BU-Portal24.de vor. Auch müssen versicherungspflichtige Mitglieder einer Krankenkasse in der Regel keine Beiträge auf die BU-Rente aus einer privaten BU zahlen.
Darüber hinaus sieht Rechtsanwältin Bettina Glaab von der Nürnberger Authent-Gruppe bei der bBU ein kaum zumutbares Haftungsrisiko für Unternehmen sowie zahlreiche Nachteile für die versicherten Arbeitnehmer. Auch Vermittler können in die Haftungsfalle geraten. Begründung: Die arbeitsrechtliche Zusage decke sich nicht immer mit den Leistungen, die sich aus dem Versicherungsvertrag ergeben. So können Arbeitgeber gegenüber Versorgungsberechtigten zur Zahlung verpflichtet sein, der Versicherer kann jedoch berechtigte Ablehnungsgründe haben, sodass das Unternehmen trotz Rückdeckungsversicherung haften muss. Möglicherweise wird sich der Arbeitgeber dann beim Vermittler schadlos halten. Glaabs Credo daher: „Eine BU sollte ausschließlich privat abgeschlossen werden.“
Ein weiterer Nachteil: Beim Ausscheiden aus dem Unternehmen haben Versorgungsberechtigte je nach Versicherungstarif trotz jahrelanger Beitragszahlungen unter Umständen keinen BU-Schutz mehr. Bei einem Arbeitgeberwechsel beginnt für den Arbeitnehmer ein neuer Vertrag mit höherem Alter und geringerer Leistung, auch wenn er dann eine private BU abschließen möchte.
Der Osnabrücker Makler Matthias Helberg erklärt, dass sein Unternehmen keine BU im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge vermittle. Wörtlich: „Aus meiner Sicht überwiegen die potenziellen Nachteile.“ Klar dafür würde aber sprechen, wenn über diesen Weg jemand BU-Schutz bekäme, den er im Rahmen einer privaten BU so nicht bekommen könnte, weil es zum Beispiel bei der privaten BU mehr Gesundheitsfragen gebe und in der Folge eine Vorerkrankung ausgeschlossen werden würde.
Maurizio Capra, bAV-Experte beim Makler Hoesch & Partner, Frankfurt am Main, sieht das ähnlich. Im Austausch mit Firmenkunden, die sich für eine bBU interessieren, werden im Kern zwei wesentliche Fragen thematisiert. „Einerseits ist die bBU der einzige Weg für Menschen mit einer Vorerkrankung, überhaupt an eine BU zu kommen, da die Gesundheitsprüfung entfällt. Andererseits müssen auf die Auszahlungen der bBU die vollen Steuern abgeführt werden, im Gegensatz zur privaten Berufsunfähigkeitsversicherung.“ Damit sei die bBU für einen Teil der Belegschaft eine sinnvolle Ergänzung der Social Benefits des Arbeitgebers.