Die US-Inflationsraten sind höher ausgefallen als erwartet – und die Märkte reagieren. „Langsam dringt es ins Bewusstsein, dass die Bekämpfung einer strukturellen Inflation länger braucht als ein paar Monate“, sagt Benjamin Bente, Geschäftsführer der Vates Invest GmbH. „Nehmen die Notenbanken diese Aufgabe ernst, sind sie noch eine ganze Weile keine Stütze für die Aktienmärkte.“
Die Inflationsraten aus den USA warteten erneut mit einer negativen Überraschung auf: Die Inflationsrate für August wurde mit 8,3 Prozent festgestellt, obwohl ein Rückgang von 8,5 auf 8,1 Prozent erwartet worden war. Angesichts sinkender Energiepreise hätte die Inflationsrate eigentlich deutlich niedriger ausfallen sollen, weshalb die Märkte auch mit Verlusten reagierten. „Die Kerninflationsrate, die Lebensmittel oder Energiepreise außen vor lässt, stieg sogar doppelt so schnell wie erwartet und steht jetzt bei 6,3 Prozent“, so Bente. „Wenn man alles zusammennimmt, zeigt das, dass die Inflation weiterhin hartnäckig und strukturell ist.“
In den vergangenen Tagen hatten sich die Märkte dabei noch durchaus positiv entwickelt. „Die Inflationsdaten passen natürlich nicht zur Marktentwicklung der jüngsten Tage“, sagt Bente. „Entsprechend gibt es die Abwärtsreaktion, denn es scheint immer noch nicht angekommen zu sein, dass das Bekämpfen einer strukturellen Inflation eine wesentlich langwierigere Aufgabe für die Notenbanken ist als die Themen, mit denen sie sich in den vergangenen 20 Jahren zu befassen hatten.“
So lässt sich ein pandemiegetriebener Shutdown-Schock mit Notenbankmaßnahmen recht zügig bekämpfen, entsprechend schnell kann der Aktienmarkt wieder steigen. „Man kann selbst eine Finanzkrise relativ schnell eindämmen, wenn man die als solche erkannt hat“, so Bente. „Nachdem die Notenbanken im Oktober 2008 gesehen hatten, dass es ein Fehler war, Lehman Pleite gehen zu lassen, haben sie mit aggressiven Gegenmaßnahmen dagegen angekämpft.“ Bereits im März 2009, also nur knapp fünf Monate später, war der Boden am Aktienmarkt erreicht. „In der Pandemie ging es noch schneller: Der Boden wurde binnen eines Monats gefunden“, so Bente.
Die Bekämpfung von Inflation dauerte dagegen stets länger. In den 1970er-Jahren kam es oft zu jahrelangen Bärenmärkten. „Das zeigt, dass das Bekämpfen einer strukturellen Inflation eine viel schwierigere Aufgabe ist, die weniger mit schnellen, brachialen Maßnahmen bekämpft werden kann, als das bei den deflationären Schocks der letzten 20 Jahre der Fall war“, sagt Bente.
Und doch scheint es immer noch so zu sein, dass die Märkte und die Marktteilnehmer diesen Unterschied nicht einpreisen. „Viele gehen immer noch davon aus, dass sich letztlich solche Inflationsprobleme sehr zügig auch ohne größere und langwierigere ökonomische Friktionen in Form von Rezessionen bekämpfen lassen“, sagt Bente. „Das ist zwar theoretisch möglich, aber zumindest die Empirie zeigt, dass es gerade bei dem Beispiel der strukturellen Inflation in den 1970ern eben mitnichten so war.“ Insbesondere im Bärenmarkt 1973 kam es in der Rezession auch zu Erholungsrallyes, die eine überraschend starke Dynamik zeigten, angesichts der doch noch großen Probleme. Hatten die Märkte dann aber die Langwierigkeit des Problems erkannt, wurde wieder abverkauft.
„Insofern sind offenbar auch heute die Märkte wieder auf dem falschen Fuß erwischt worden in ihrem Inflation-Peak-Optimismus“, so Bente. „Es gilt, weiterhin vorsichtig zu agieren.“ Es ist unwahrscheinlich, dass in den Aktienmärkten ein nachhaltiger Boden gefunden werden kann, bevor nicht die Notenbanken aus der Gegnerschaft des Aktienmarktes durch ihre permanente Zinserhöhungspolitik wieder zum Freund des Aktienmarktes werden. Das kann aber erst nach einem nachhaltigen Abkühlen der Inflation der Fall sein. „Und das geht eben nicht so schnell, nur weil es einmal einen positiven Monat gab“, so Bente.