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Europaaktien im Bann des Kriegs

März 2023
Der Ukrainekrieg hinterlässt tiefe Spuren in Europas Wirtschaft. Beim französischen Vermögensverwalter Amundi hat man mögliche Folgen für Anleger analysiert.
Amundi
Anna Rosenberg, Amundi

Der Ausbruch des Ukrainekriegs liegt nunmehr gut ein Jahr zurück. Die Amundi-Experten Anna Rosenberg, Head of Geopolitics, Mahmood Pradhan, Head of Global Macro Economics, und Francesco Sandrini, Head of Multi-Asset Strategies, werfen einen Blick auf eine Weltordnung im Umbruch und auf die Frage, wie Anleger sich aktuell positionieren sollten.

EIN JAHR KRIEG IN DER UKRAINE

Der Westen schickt Kampfpanzer in die Ukraine, um einer erneuten russischen Offensive entgegenzuwirken. Unserer Meinung nach erhöht dieser Schritt das Risiko einer direkten Eskalation zwischen Russland und dem Westen, die Wahrscheinlichkeit eines langwierigen Krieges bleibt hoch. Wie geht es weiter? Die meisten modernen Konflikte münden in Verhandlungen, wenn beide Seiten hinreichend erschöpft sind. Wir denken, die Möglichkeit eines Waffenstillstands Ende 2023 oder Anfang 2024 wird aktuell gemeinhin unterschätzt.

DIE DREI WAHRSCHEINLICHSTEN SZENARIEN

Lange andauernder Krieg (30 Prozent Wahrscheinlichkeit): Der Westen und Russland driften weiter auseinander, der wirtschaftliche Anreiz für einen Frieden schwindet.

Waffenstillstand (30 Prozent Wahrscheinlichkeit): Ende 2023/ Anfang 2024 könnten Erschöpfung auf beiden Seiten, hohe Zinsen und Preise den Druck auf westliche Politiker verstärken, Verhandlungen aufzunehmen.

Direkte Eskalation mit dem Westen (25 Prozent Wahrscheinlichkeit): Ein asymmetrischer Angriff auf ein Nachbarland der Ukraine könnte den Westen zwingen, in den Krieg einzugreifen.

WAS BEDEUTET DIES FÜR ANLEGER?

Corona und Krieg waren wichtige Katalysatoren für einen groß angelegten De-Globalisierungstrend. Das bedeutet kürzere Wertschöpfungsketten, weniger verflochtene Volkswirtschaften, steigender Protektionismus und höhere Inflation.

Das negativste Kriegsszenario dürfte äußerst schwerwiegende wirtschaftliche und finanzielle Auswirkungen mit sich bringen. Es würde einen stärkeren Aufwärtsdruck auf Produktionskosten und Inflation bedeuten. Das wiederum würde der EZB erschweren, eine akkommodierende Geldpolitik zu verfolgen. Militärausgaben in Höhe von etwa zwei Prozent des BIP, mehr staatliche Hilfspakete für Haushalte und Unternehmen sowie eine stärkere Förderung der Energiewende sind zu erwarten.

Im Energiebereich hat Europa einen langen Weg eingeschlagen, um seine Abhängigkeit von Russland zu verringern, neue Lieferanten zu finden und verstärkt erneuerbare Energien zu nutzen. Dieser Prozess wird weitergehen, unabhängig von einem möglichen Waffenstillstand oder einer Änderung des russischen Regimes. Die EZB muss ihre Bilanz möglicherweise weiter aufstocken, um die Prioritäten der Eurozone zu finanzieren, und die Renditekurven könnten steiler werden.

Eine plötzliche Beendigung des Krieges würde eine weniger steile Baisse an den Anleihemärkten und einen geringeren Inflationsdruck bedeuten, was den Weg für einen weniger restriktiven geldpolitischen Kurs ebnen würde. Nichtsdestotrotz wird die Rentabilität der Unternehmen durch die Energiewende beeinträchtigt werden, die auf verstärkte Anstrengungen der Zentralbanken, der politischen Entscheidungsträger sowie auf öffentliche und private Unterstützung zur Finanzierung der erforderlichen Investitionen angewiesen ist. Im Vergleich zu einigen anderen internationalen Unternehmen haben die europäischen Unternehmen angesichts ihrer immer noch bestehenden strukturellen Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen eine große Aufgabe zu bewältigen.

WIE ENTWICKELN SICH DIE EUROPÄISCHEN AKTIEN?

Kommunikationsdienste: Energiekosten und die Lohninflation haben die Telekommunikationsunternehmen getroffen. Angesichts ihrer schwachen Preissetzungsmacht können sie Kostensteigerungen kaum an die Kunden weiterreichen. Wir sind bei Telekommunikationsunternehmen vorsichtig und bevorzugen stattdessen Medien. Langfristige Auswirkungen befürchten wir nicht.

Verbrauchsgüter: Konsumgüterunternehmen mussten ihr Russlandgeschäft verkaufen, aufgeben oder abwickeln. Dies wirkte sich im niedrigen einstelligen Prozentbereich negativ auf den Umsatz und etwas stärker auf das Ergebnis aus. Unternehmen, die in anderen Ländern Mittel- und Osteuropas tätig sind, litten ebenfalls unter einer vorübergehenden Abschwächung des Konsumklimas. Und dann sind da noch die gestiegenen Energiekosten. Unserer Ansicht nach dürften die langfristigen Auswirkungen auf die Verbrauchersektoren gering sein.

Basiskonsumgüter: Die Rohstoffinflation ist stark gestiegen, insbesondere bei den in der Ukraine und Russland beschafften Rohstoffen. Der Preisanstieg erhöht den Druck auf die Herstellungskosten, insbesondere auf den Agrarmärkten. Hersteller versuchen ihre höheren Inputkosten an die Verbraucher weiterzugeben. Verbraucher reagieren und wählen verstärkt Eigenmarken statt Markenprodukte und gehen zum Discounter. Es bleibt abzuwarten, inwieweit dieses Verhalten langfristig Bestand haben wird.

Energie: Die Energiepreise sind in ganz Europa drastisch gestiegen. Höhere Preise, Preisvolatilität, Versorgungsengpässe und Probleme bei der Versorgungssicherheit haben eine weltweite Energiekrise befördert. Europa strebt nun Energieunabhängigkeit an. Alternative Energiequellen sollten Gas weiter verdrängen. Marktverwerfungen dürften Energiepreise im Durchschnitt höher halten. Eine weitere Auswirkung des Krieges ist, dass einige Investoren ihre Haltung zur Energieunabhängigkeit und zu Investitionen in Energieunternehmen überdenken könnten. ESG-Integration in Investitionsprozesse kann ein verlässlicher Rahmen sein, der alle Komplexitäten dieser Themen berücksichtigt.

Finanzen: Im Versicherungssektor führte der Krieg zu einigen Rückversicherungsverlusten (etwa durch die Enteignung von Flugzeugen in Russland). Diese Verluste waren jedoch im Branchenkontext nicht wesentlich und beliefen sich auf etwa 15 Milliarden US-Dollar – vergleichbar mit einem kleinen Katastrophenereignis. Bei den diversifizierten Finanzwerten wurden die Erträge der Börsen durch die höhere Marktvolatilität und die Zinserhöhungen angekurbelt. Generell sahen sich die Unternehmen im gesamten Finanzsektor gezwungen, Maßnahmen zu ergreifen, um sich vollständig aus Russland zurückzuziehen oder ihr Engagement dort zu reduzieren. Das Ende der Negativzinsphase wird die Rentabilität von Banken erheblich verbessern und die Erträge der Versicherungen stützen. Bei den diversifizierten Finanzwerten dürften die Börsen von einem starken Rückenwind im Hedging- und Clearinggeschäft profitieren.

Gesundheit: Der Krieg hat sich kurzfristig nur begrenzt auf den Gesundheitssektor ausgewirkt. Diese Unternehmen sind von den gegen Russland verhängten Sanktionen ausgenommen, und ihre Verkäufe nach Russland oder in die Ukraine machen weniger als zwei Prozent ihres weltweiten Umsatzes aus. Schließlich hat sich der höhere Inflationsdruck kaum auf die Gewinnspannen ausgewirkt. Die langfristigen Auswirkungen des Krieges in diesem Sektor werden ebenfalls begrenzt sein, wenn er auf die Ukraine und Europa beschränkt bleibt.

Industrie: Der Krieg hat die Energiepreise in die Höhe getrieben und Versorgungsketten unterbrochen. Dies hat die Kosten für Transport und viele Rohstoffe in die Höhe getrieben, was zu einem anhaltenden Druck auf die Inputkosten der Industrieunternehmen führt. Gleichzeitig haben die Regierungen die Verteidigungsausgaben erhöht, so dass Verteidigungswerte neu bewertet werden. Diese Ergebnisse haben eine Debatte über den Wert der Verteidigungsindustrie ausgelöst und die Ansichten einiger ESG-Anleger in Bezug auf Investitionen in Verteidigungsaktien in Frage gestellt. Wir gehen davon aus, dass der Krieg zu einer größeren Nachfrage nach Investitionsgütern führen wird, die zur Verbesserung der Energieeffizienz und zur Erleichterung der Energiewende benötigt werden.