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Fast Fashion am Pranger

Oktober 2022
Produktion und Lieferketten müssen in der globalen Bekleidungsindustrie nachhaltiger werden, mahnt Sébastien Thévoux-Chabuel bei Comgest.
Comgest
Sébastien Thévoux-Chabuel, Comgest

Nach New York, London und Mailand war zuletzt wieder Paris an der Reihe, um auf der alljährlichen Fashion Week die neuesten Modetrends zu präsentieren. Sébastien Thévoux-Chabuel, Head of Responsible Development bei der Fondsboutique Comgest, nimmt zu diesem Anlass die Textilbranche aus ESG-Gesichtspunkten unter die Lupe.

Die Fast-Fashion-Industrie, die seit den 1990er Jahren einen rasanten Aufstieg erlebt hat, wird zunehmend kritischer gesehen. Anleger und Verbraucher wägen die Umweltkosten der zu „Wegwerfartikeln“ gewordenen Kleidung ab und fordern mehr Transparenz und bessere Arbeitsbedingungen. In der Branche besteht nach wie vor erheblicher Verbesserungsbedarf, aber es gibt auch Marktteilnehmer, die auf nachhaltigeres Wirtschaften setzen und diesen Stakeholder-orientierten An­satz erfolgreich bei den immer anspruchsvolleren Konsumenten vermarkten.

Defizite in der Fast-Fashion-Lieferkette

Seit den Anfängen des Fast-Fashion-Handels in den 1990er Jahren ist die Zahl der pro Kopf verkauften Bekleidungsstücke sprunghaft gestiegen. In einigen Märkten gibt es zwar Anzeichen für eine Verlangsamung oder sogar Umkehr dieses Trends. Dennoch wird sich die Menge produzierter Kleidung voraussichtlich von 62 Millionen Tonnen im Jahr 2015 auf 102 Millionen Tonnen im Jahr 2030 erhöhen. Der Wandel bei den Anforderungen der Anleger und das geänderte Verbraucherverhalten führen dazu, dass ein wachsender Anteil dieser Kleidung nachhaltig produziert und nicht über klassische Vertriebswege abgesetzt wird. Branchenführer reagieren auf diese Trends und dürften in Anbetracht des fragmentierten Marktes mit dieser Strategie Marktanteile gewinnen.

Die Lieferkette der Textilindustrie ist durch schlechte Arbeitsbedingungen und Niedriglöhne gekennzeichnet. Doch seit dem schockierenden Einsturz des Fabrikgebäudes Rana Plaza in Dhaka im Jahr 2013 haben führende Unternehmen der Branche ihre Lieferantenbeziehungen neu gestaltet und begonnen, Anlegern die notwendigen Informationen zur Überprüfung ihrer Lieferkette zur Verfügung zu stellen. So gab H&M 2013 als erster Modehändler umfassenden Einblick in seine Lieferantenliste für mehr Produkttransparenz. Weitere Einzelhändler wie Primark und Inditex folgten seinem Beispiel. Auch Uniqlo aus Japan veröffentlicht auf seiner Website vollständige Details zu seinen Fabriken und Baumwollspinnereien in China und Südostasien.

Gleichwohl gibt es noch immer erhebliche Defizite in der Fast-Fashion-Lieferkette. Die Enthüllungen über die Zustände in den „Sweatshops“ der Zulieferfabriken für den Online-Händler Boohoo in Leicester, Großbritannien, sind nur ein Beispiel hierfür. Das Versagen der Governance-Strukturen ließ den Aktienkurs von Boohoo am Ende um 40 Prozent einbrechen – was uns jäh vor Augen führt, wie sich ESG-Risiken finanziell äußerst schmerzhaft bemerkbar machen können.

Vorreiter in einer nicht nachhaltigen Industrie

Ein weiteres wichtiges Element für eine führende Position in der Branche ist die Verringerung der eigenen Umweltbelastung. Das prognostizierte Wachstum der weltweit produzierten Kleidung auf 102 Millionen Tonnen im Jahr 2030 impliziert einen enormen Anstieg des Ressourcenverbrauchs. Demgegenüber haben die meisten Big Player der Fashion-Industrie ambitionierte Umweltziele veröffentlicht. Sie entwickeln nachhaltige Materialien und effizientere Prozesse, um ihren Wasser- und Stromverbrauch zu senken und weniger Chemikalien und Pestizide einzusetzen. Inditex ergriff hier die Initiative und verpflichtete sich 2019, bis 2025 100 Prozent recycelte Baumwolle und recyceltes Polyester, sowie 100 Prozent nachhaltiges Leinen zu verwenden. H&M will bis 2035 klimapositiv werden und hat konkrete Maßnahmen getroffen, um innovative Materialien auf der Basis natürlicher Abfallprodukte wie Orangenfruchtfleisch und Ananasblätter zu entwickeln. Ebenso investiert Uniqlo in neue Verfahren bei der Denim-Herstellung, die den Wasserverbrauch um 99 Prozent und die CO2 -Emissionen um 85 Prozent senken. Insgesamt setzt rund die Hälfte der Textilunternehmen bereits nachhaltigere Materialien ein, und viele Start-ups arbeiten an disruptiven Technologien.

Die Reaktionen der Branche sind auch auf veränderte Kundenpräferenzen hin zu Wiederverwendung und Recycling zurückzuführen. Diesen Trend hat beispielsweise Uniqlo mit seiner Initiative „Re.Uniqlo“ aufgegriffen, mit der das Produktrecycling zu Produkten und Brennstoffen und die Wiederverwendung von Produkten gefördert werden. Dieser Trend manifestiert sich auch an der Zunahme neuer Einzelhandelsmodelle. So hat H&M über seine Private-Equity-Sparte nicht nur in Technologie-Start-ups investiert, die neue Recyclingmethoden entwickeln, sondern sich auch an dem Online-Second-Hand-Shop Sellpy beteiligt. In Japan verfolgt Zozo mit „Zozo Used“ ein vergleichbares Modell.

Allerdings besteht eine klare Herausforderung für die Branche darin, dass Konsumenten von den Unternehmen mehr Investitionen in innovative Produktions- und Vertriebstechnologien erwarten, aber umgekehrt nicht bereit sind, einen Mehrpreis für die so hergestellte und verkaufte Kleidung zu zahlen. Gelöst werden kann dies, indem nachhaltige Produktionsverfahren in größerem Umfang eingesetzt werden, so dass sich Skaleneffekte bemerkbar machen. Unternehmen wie Fast Retailing aus Japan erzielen zudem Effizienzgewinne durch die stärkere Automatisierung ihres Logistikbetriebs. Etablierte Fast-Fashion-Einzelhändler können es sich einfach nicht leisten, Kundenpräferenzen oder die Bedrohung durch neue Wettbewerber wie Vinted (ein Marktplatz für gebrauchte Bekleidung) oder Plattformen für Leihmode im Abo wie Rent-the-Runway und Air Closet zu ignorieren.

ESG-Scoring für Textilunternehmen

Der Trend hin zu nachhaltiger Produktion und transparenten Lieferketten in der Modebranche wird, wie bereits erörtert, nicht nur bei den Verbrauchern, sondern genauso stark bei den Anlegern unter die Lupe genommen. Investoren und Vermögensverwalter achten immer genauer darauf, wie Textilunternehmen mit Umwelt- und Sozialrisiken umgehen sowie ESG-Kriterien umsetzen. So weist beispielsweise das ESG-Analystenteam von Comgest jedem Unternehmen ein ESG-Qualitätsniveau von 1 (ESG Leader) bis 4 (Verbesserung erwartet) zu. Dieses Rating hat direkten Einfluss auf den Ab- bzw. Aufschlag in den eigenen Unternehmensbewertungsmodellen. Vorreiter in der Textilbranche haben normalerweise ein relativ hohes ESG-Qualitätsniveau. Unternehmen mit einem niedrigeren ESG-Rating können wiederum einen Bonus erhalten, sofern ein eindeutig identifiziertes Verbesserungspotenzial besteht und das Unternehmen nachweislich bereit ist, die richtigen Maßnahmen zu ergreifen.

Branche im Wandel

Auch wenn sich Anleger und Verbraucher zu Recht fragen mögen, ob Fast Fashion in einer Welt mit knappen Ressourcen überhaupt noch zeitgemäß ist, zeigen führende Textilunternehmen mit ihren Maßnahmen zur Verbesserung ihrer ökologischen und sozialen Auswirkungen gleichwohl, dass nachhaltiges Handeln in einer nicht nachhaltigen Branche möglich ist. Um dies zu forcieren, unterstützt Comgest beispielsweise die Sustainable Apparel Coalition, die sich für den Austausch bewährter Praktiken und technischer Standards in der Textilindustrie starkmacht. Führende Unternehmen passen ihre Geschäftsmodelle an die geänderten Erwartungen von Anlegern und Verbrauchern an und positionieren sich so, dass sie den Shareholder Value langfristig steigern. Dabei gehen immer mehr Firmen einen Schritt weiter, als nur die eigenen Risiken zu steuern und setzen sich für ein besseres Management des Human- und Umweltkapitals in der gesamten Branche ein. Der Ansatz von Comgest mit der Integration von ESG-Kriterien, aktiver Einflussnahme und Förderung greift diese Entwicklungen im Research- und Entscheidungsprozess auf. Gleichzeitig arbeitet Comgest mit anderen Anlegern zusammen, um die dringend nötigen Fortschritte – auch im Sinne zahlreicher UN-Nachhaltigkeitsziele – branchenweit voranzutreiben.