Was für ein Theater!“, mögen sich manche Investoren angesichts der sich fundamental geänderten Rahmenbedingungen schon mehr als einmal gedacht haben. Dabei schien in den letzten Jahren die Welt der Wohnimmobilien doch so schön in Ordnung zu sein. Die lockere Geldpolitik nach der globalen Finanzkrise hatte die Immobilienmärkte rund um den Globus lange Zeit mächtig angeheizt. In vielen Ländern gingen die Haus- und Wohnungspreise durch die Decke. In den USA und Kanada war in den vergangenen zehn Jahren nach Erhebungen von Bantleon Institutional Investing mehr als eine Verdoppelung zu beobachten, in Deutschland immerhin ein Plus von 85 Prozent. Als Investmentobjekt erfreuten sie sich bei Privatanlegern und institutionellen Investoren angesichts der zu erwartenden Wertsteigerungspotenziale zunehmender Beliebtheit. Das Image der langweiligen Assetklasse hatten die Wohnimmobilien abgestreift und positionierten sich als Stabilitätsanker im Portfolio.
Doch dann änderten sich im vergangenen Jahr die Rahmenbedingungen auf den Wirtschafts- und Kapitalmärkten fundamental. Drei nahezu parallel verlaufenden Entwicklungen stellt die Marktakteure inzwischen vor große Herausforderungen: 1. der schnell fortschreitende Klimawandel bringt viele Regulierungen mit sich und erfordert ein Umdenken beim Bauen; 2. die Corona-Pandemie und ihre Nachwirkungen verändern die Rahmenbedingungen massiv; 3. die Verwerfungen des Ukraine-Russland-Kriegs wirken sich weiter auf die Wohnungsmärkte in Europa aus. Zudem bringt die aktuelle Gemengelage aus Inflation, höheren Zinsen und die Furcht vor einer Rezession die Immobilien weiter unter Druck. Laut der Studie „Emerging Trends in Real Estate Europe 2023“ von der Beratungsgesellschaft PwC und dem Urban Land Institute ist ein mittelfristiger Rückgang der Immobilienwerte unvermeidlich. Als attraktivste Standorte für europäische Immobilieninvestoren werden London, Paris und Berlin genannt. Wien rangiert auf Platz 12.
Die stark gestiegenen Finanzierungskosten bekamen nicht nur institutionelle Investoren zu spüren. Ein durchschnittlicher Privathaushalt kann inzwischen in A-Städten die finanzielle Belastung durch den Erwerb einer Neubauwohnung (80 Quadratmeter) praktisch nicht mehr stemmen, errechneten die Experten von BNP Paribas Real Estate in ihrem aktuellen Marktbericht zum Wohnungsmarkt. Für Projektentwickler hat sich die Lage deshalb drastisch geändert. Damit sich für sie Neubau in A-Städten lohne, müsse eine wirtschaftliche Miete, also Grundstücks- und Herstellungskosten sowie Risk & Profit, bei 21,70 pro Quadratmeter liegen. Die Angebotsmiete lag im vergangenen Jahr aber im Durchschnitt bei 17,90 Euro pro Quadratmeter, errechnete das Research-Team von BNP Paribas Real Estate.
Eigentumswohnungen in Unterhaching/München, Quelle: Project Immobilien.
Eigentumswohnungen, Einbecker Straße 74 in Berlin-Lichtenberg, Quelle: Project-Immobilien.
Mark Münzing kennt diese Zahlen und die Auswirkungen auf den Markt. Er ist Vorstand der DFI Deutsche Fondsimmobilien und hat in seiner langen Karriere schon viele Immobilienkrisen miterlebt. „Alle Krisen kommen in Sinuswellen. Doch dieses Mal ist die Situation sehr speziell“, betont Münzing und weiter: „Wir kommen aus einer Entwicklung, wo sich alle Immobilien leisten konnten und sie teilweise mit 100, ja oft sogar 110 Prozent finanziert bekamen. Die niedrigen Zinsen machten es möglich.“ Die hohe Nachfrage ließ dann die Preise explodieren, analysiert der Immobilienexperte. Jetzt gehe die Nachfrage zurück, die potenziellen Käufer warteten ab. Die Preise bröckeln, gingen aber noch nicht stark zurück, weil gleichzeitig das Angebot sinke. „Wer nicht verkaufen muss, verkauft nicht“, meint Münzing und betont: „Allerdings kommt durch Finanzierungsausläufe und ESG-Anforderungen Druck auf die Verkäuferseite. Mit dem DFI Wohnen 1 bei einem Volumen von 50 Millionen Euro sei man jedenfalls gut gerüstet. Zum einen sei der Eigenkapitalanteil mit 37,2 Millionen Euro sehr hoch. Zum anderen habe man die Finanzierung noch zu 1,6 Prozent eindecken können und zwölf Wohnanlagen zum 20-fachen Faktor erworben.
Im Hinblick auf die Wohnungsverkäufe beim Asset Manager sieht Christian Grall, Geschäftsführer der Project Vermittlungs GmbH durchaus herausfordernde Zeiten. Allerdings träfe es die Project Gruppe nicht ganz so hart wie den ein oder anderen Projektentwickler, der zusätzlich noch mit dem Thema Bauzinsen zu kämpfen habe. „Wir haben bei Wohnimmobilien in Deutschland eine anspruchsvolle Zeit vor und hinter uns“, sagt er. Besonders problematisch sei die Situation im Bestand. Nicht energetisch sanierte Immobilien würden mit Abschlägen von sieben bis 16 Prozent gehandelt. „Viele der alten Wohnimmobilien sind gar nicht mehr sanierbar. Jedes Jahr fallen so 200.000 bis 300.00 Wohnungen aus dem Markt. Daher müssen nicht 400.000 Wohnungen neu gebaut werden, sondern 600.000“, mahnt der Geschäftsführer. Doch auch der Neubau sei inzwischen sehr herausfordernd, da es vor allem an geeigneten Förderungen fehle. Das werde sich seiner Meinung auch noch weiter zuspitzen. Weniger Sorgenfalten bereiten ihm dagegen die gestiegenen Fremdfinanzierungskosten. Grall: „Dadurch, dass wir komplett eigenkapitalfinanziert sind, haben wir keinen Druck und können die Märkte sondieren. Aber wir sind natürlich auch sehr vorsichtig.“
Gerade in Deutschland haben Wohn-, Senioren-, Studenten- und Pflegeimmobilien deutlich an Attraktivität eingebüßt und ihren Anteil am deutschlandweiten Transaktionsvolumen auf nur noch 23 Prozent halbiert, heißt es vom Maklerhaus JLL. Hohe Transaktionsvolumina erwarte man angesichts der makroökonomischen Umwälzungen und drastischen Veränderungen im Finanzierungsumfeld nicht, da die geringere Aktivität zu erhöhter Intransparenz und Unsicherheit führen würde. „Die wachsende Diskrepanz zwischen realer Wohnungsnachfrage und -angebot auf dem Mietwohnungsmarkt dürfte die Attraktivität der Assetklasse aber auf mittlere Sicht stützen“, sagt Helge Scheunemann, Head of Research bei JLL Germany.
Im Zuge der höheren Kreditzinsen sieht auch Neil Cable, Head of European Real Estate bei Fidelity, in der ersten Hälfte des Jahres 2023 keine Erholung. Die privaten Kapitalmärkte, die einen bedeutsamen Teil des Immobilienmarktes ausmachen würden, seien derzeit deutlich weniger liquide als ihre öffentlichen Pendants. Zudem hinke die Preisentwicklung hier den anderen Anlageklassen hinterher. Daher gehe man davon aus, dass in den ersten beiden Quartalen 2023 die Preise am Immobilienmarkt weiter zurückgehen werden. Zugleich biete aber gerade diese Zeit Käufern die größte Verhandlungsmacht. Einen Abwärtszyklus wie in den 1990er-Jahren oder Tiefstände bei den Preisen wie in der globalen Finanzkrise, sieht Cable nicht. Dafür gibt es aus seiner Sicht immer noch zu viele Käufer. Bezogen auf die Lage der Immobilien sehen Immobilienexperten laut dem „Trendbarometer Immobilien-Investmentmarkt 2023“ der Beratungsgesellschaft Ernst & Young vom Anfang dieses Jahres außerhalb der A-Lagen überwiegend sinkende Preisniveaus. An den Mietmärkten gäbe es gegenteilige Entwicklungen. „An A-, B- und C-Standorten erwarten wir für 2023 und die kommenden Jahre ein deutliches Mietenwachstum“, sagt Emanuel Eckel. Der Director Market Intelligence & Foresight Germany bei dem Immobilienberater Colliers fügt hinzu: „Die Nachfrage auf dem Mietwohnungsmarkt ist ungebrochen hoch, bei gleichzeitig viel zu geringen Fertigstellungszahlen und hohen Kosten für Energie und Baumaterial.“
USA: Resilienter bei Krisen
Wie in der Eurozone ist das Transaktionsvolumen bei Wohnimmobilien auch in den USA niedrig. Die Preise senden dabei aber gemischte Signale. Viele Verkäufer warten noch ab. „Das dürfte sich aber bald ändern“, prognostiziert Fabian Spindler, Geschäftsführer der Jamestown US-Immobilien GmbH, da einige Eigentümer aufgrund von schlechteren Zinskonditionen unter Verkaufsdruck geraten werden. Er gehe davon aus, dass immer mehr Verkäufer ab Mitte 2023 die gesunkenen Preise akzeptieren werden und dann wieder mehr Bewegung in den Markt komme. Ähnlich sieht das auch Volker Arndt, Geschäftsführer der US-Treuhand. Wie Jamestown und BVT gehören sie zu den etablierten Investoren, die den US-Markt gut kennen. „Anders als in Deutschland, aber auch in vielen Ländern Europas, haben wir in den USA auf lange Sicht sehr gute wirtschaftliche Perspektiven. Die Wirtschaft wächst stärker als in Deutschland und die Bevölkerungszahl legt jährlich um mehr als 2,5 Millionen Menschen zu“, erklärt Arndt, mahnt dabei aber eine differenzierte Betrachtung der Assetklassen an: So sei der Süden der USA chancenreicher als Kalifornien oder New York und der Immobilienmarkt in Texas, Nevada, Arizona und Florida eröffne wegen der niedrigeren Steuerlast bessere Renditeperspektiven – auch als viele der europäischen Immobilienmärkte angesichts des sich abschwächenden Wirtschaftswachstums.
Ein Patentrezept gäbe es jedoch nicht. Es könne durchaus sein, dass sich an einem Standort Investitionen in Mietwohnungen gut rechnen würden, der Kauf von Eigentumswohnungen aber gerade nicht. Es sei schon immer so gewesen, dass man in den USA nur in bestimmten Regionen in bestimmte Objekte investieren konnte – in Boomphasen wie in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten. Entscheidend sollte letztendlich immer sein, ob sich eine Immobilie rechnet und langfristig Ertrag abwirft. Den aktuellen Fonds schließe man bei der US-Treuhand mit einem Volumen von 56 Millionen US-Dollar. Im Herbst 2023 will der Anbieter mit einem neuen Fonds auf den Markt kommen. Investiert werden soll in Core-Immobilien aus den Bereichen Büro und Wohnen. „Angesichts der multiplen Krisen gehen wir deshalb idealerweise auf Core-Immobilien, aber nicht zu jedem Preis“, sagt Arndt. Wichtig seien in Summe die Interessengleichheit zwischen Anbieter und Investoren, günstige Einkaufspreise und Wertsteigerungspotenzial für Objekte, Diversifizierung und Inflationsschutz bei Mietverträgen.
Angespannte Lage
Bei der BVT fühlt man sich seit Jahren mit dem Investmentfokus US-Mietwohnimmobilien wohl. Zum Ende vergangenen Jahres konnte die Projektentwicklung „Alta at Health Village“ in Orlando, Florida als Co-Investment der Fonds BVT Residential USA 11 und 14 erfolgreich veräußert werden. Aktuell befindet sich der Markt zwar aufgrund der Zinsproblematik in einer etwas angespannten Lage, merkt Martin Stoß, Leiter des Geschäftsbereichs Immobilien USA bei BVT, an. Doch die Markteilnehmer würden bis Ende 2023 eine merkliche Erholung auf der Finanzierungsseite als auch im Immobilienbereich erwarten. Angesichts der robusten Lage am Arbeitsmarkt werde eine Rezession in den USA eher als unwahrscheinlich angesehen. Durch fundierte Mikro- und Makro-Analysen und auf Basis der langen Erfahrungen des USA-Teams ist man laut Stoß jedenfalls in der Lage, aussichtsreiche Standorte herauszufiltern. „Gerade Orlando, Boston, Atlanta und Washington, aber auch den Sun Belt, sehen wir als interessante potentielle Standorte für unsere Projektentwicklungen“, ergänzt der Geschäftsbereichsleiter. Dort sei BVT in der Projektakquise 2022 sehr erfolgreich gewesen und habe drei Projektentwicklungen mit insgesamt 800 Apartments anbinden können.
Auf Investitionen an der Westküste verzichte man dagegen aufgrund der klimatischen Bedingungen wie Dürren und Wassermangel, einer vergleichsweise hohen Steuerbelastung für Unternehmen und Arbeitnehmer sowie der Abwanderung großer Unternehmen in den Sun Belt und an die Ostküste. Natürlich sei die aktuelle Situation herausfordernd, doch der US-Markt sei der größte, transparenteste und liquideste Immobilienmarkt der Welt und eine Diversifikation in US-Dollar attraktiv. Stoß: „Das haben auch institutionelle Investoren auf dem Schirm. Sie schauen wieder verstärkt in die USA. Nun müssen sie dies nur noch in die Tat umsetzen.“
Laut Fondsmonitor H2/2022 der Beratungsgesellschaft Lagrange rücken Wohnimmobilien wieder stärker in den Fokus von institutionellen Investoren. So wurden Wohnungen als Investitionsziel in Form von Direktinvestments und Immobilien Spezial-AIFs um fast 40 Prozent mehr gegenüber dem ersten Halbjahr 2022 genannt. Ähnlich die Bewertung bei Colliers: Den Experten zufolge könnte sich der Markt nach dem Umsatzeinbruch auf 13,7 Milliarden Euro im vergangenen Jahr ab dem zweiten Halbjahr 2023 wieder erholen. „Das institutionelle Wohnsegment könnte 2023 positiv überraschen“, sagt Emanuel Eckel, Director Market Intelligence & Foresight Germany bei Collier und fügt hinzu: „15, im besten Fall bis zu 20 Milliarden Euro Umsatz scheinen für das Gesamtjahr 2023 realistisch.“
Fazit
Die Zeit der großen Bühnen und ausverkauften Häuser scheint erst einmal vorbei zu sein – sowohl im Theater als auch im Immobilienfondsbereich. Doch während am Theater fehlende Besucher sofort ein Loch in die Kasse reißen, ist der Immobilienmarkt ein zeitlich nachlaufender Sektor. Hier wird sich erst im Verlauf des kommenden Jahres zeigen, welche Folgen die aktuellen Entwicklungen tatsächlich haben werden. Je nach Standort der Wohnimmobilien werden es Probleme, aber wohl auch Chancen sein. Entscheidend für den Erfolg in herausfordernden Zeiten sind deshalb gute und langjährige Marktkenntnisse sowie die Fähigkeit am Markt auch das zu verstehen, was nicht ganz offensichtlich ist – eben wie im Theater.