Ziel und Wirklichkeit klaffen beim weltweiten Kampf gegen die fortschreitende Erderwärmung weiter auseinander. Dies zeigen die jüngsten Veröffentlichungen des Weltklimarats (IPCC) am Ende seines sechsten Berichtszyklus: Um die durchschnittliche globale Erwärmung im Vergleich zur vorindustriellen Zeit auf 1,5 Grad bzw. unter 2 Grad Celsius zu begrenzen, müssten die Emissionen von Treibhausgasen (THG) – Kohlenstoffdioxid (CO2), Methan (CH4) und Lachgas (N2O) – vor 2025 ihr globales Maximum erreichen. Jeweils in den 2030er- bzw. 2040er-Jahren müssten sie dann um mindestens 50 Prozent absinken sowie bis spätestens 2055, respektive 2075, auf Netto-Null fallen.
Tatsächlich sind die weltweiten Emissionen aller Treibhausgase seit 2010 mit etwa 1,3 Prozent pro Jahr langsamer angestiegen als im vorherigen Jahrzehnt, als der Anstieg bei jährlich 2,1 Prozent lag. Gleichwohl sind die weltweiten THG-Emissionen damit immer noch höher als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit, konstatieren IPCC-Experten. Nur die COVID-19-Pandemie hatte 2020 zu einem temporären Rückgang der Emissionen von etwa sechs Prozent gegenüber 2019 geführt.
Welche Brisanz in diesen Entwicklungen steckt, zeigt ein isolierter Blick auf die CO2-Emissionen. Während der Ausstoß in Deutschland und der EU im zurückliegenden Jahrzehnt um rund 20 Prozent verringert werden konnte, nahmen die Emissionen weltweit sogar um sieben Prozent zu (siehe Grafik auf Seite 35). Die Folge: Damit das eingangs genannte Pariser Klimaziel noch erreicht werden kann, verbleibt der Weltbevölkerung seit 2018 ein globales Emissionsbudget von lediglich etwa 420 Milliarden Tonnen CO2. Mit anderen Worten: Da aktuell jährlich mehr als 37 Milliarden Tonnen CO2-Emissionen verursacht werden, könnte das verbliebene Kohlenstoffbudget in sieben Jahren aufgebraucht sein. Die Schlussfolgerung ist klar: Bei der Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft besteht massiver Handlungsbedarf. Im Blickpunkt: die Emissionstreiber. Laut Statista zählen hierzu vor allem die Energieindustrie, der Transport und industrielle Verbrennungsprozesse (siehe Grafik auf Seite 35).
In den Prozess der Vermeidung von CO2-Emissionen können sich Anleger durch Investments in sogenannte Low Carbon- oder Dekarbonisierungs-ETFs einklinken und auch profitieren – wie ein Blick auf unser aktuelles Fondsranking zeigt. Je nachdem, welche Region favorisiert wird, konnten Anleger in den zurückliegenden zwölf Monaten deutlich zweistellige Wertzuwächse erzielen. An der Spitze liegt derzeit der BNP Paribas Easy Low Carbon 300 World PAB UCITS ETF mit einem kumulierten Plus über drei Jahre von 56,3 Prozent.
Der ETF bildet den Euronext Low Carbon 300 World PAB Index nach. Der Fonds umfasst 298 Titel. Die beiden Schwergewichte sind Industria de Diseno Textil (9,4 Prozent), eines der weltweit größten Textilunternehmen und der omnipräsente Chip-Produzent Nvidia, beide mit Anteilen von jeweils über neun Prozent. Die wichtigsten Sektoren sind IT, Nicht-Basiskonsumgüter sowie das Finanz- und Gesundheitswesen. Da es sich um eine Paris-Aligned Benchmark (PAB) handelt, müssen – dem gesetzlichen Rahmenwerk der EU folgend – zwei Klimavorgaben erfüllt werden: Die CO2-Intensität muss gegenüber dem anfänglichen Anlageuniversum um mindestens 50 Prozent geringer ausfallen. Zudem muss ein Dekarbonisierungsziel von sieben Prozent pro Jahr erreicht werden. Beide Vorgaben wurden laut Anbieter bislang durch Anwendung eines Best-in-Class-Ansatzes und den Ausschluss von Aktivitäten mit fossilen Brennstoffen geschafft.
Was ist Dekarbonisierung?
Im Zusammenhang mit dem Klimaschutz bezeichnet der Begriff Dekarbonisierung das Ziel und auch Strategien dafür, Verfahren der Industrie und Wirtschaft so zu gestalten, dass sie möglichst keine fossilen Brennstoffe beanspruchen und kein CO2 in die Atmosphäre freisetzen. Strategien zur Dekarbonisierung ganzer Staaten oder von Unternehmen haben ihren Schwerpunkt oft auf der Energiegewinnung. Statt der kohlenstoffhaltigen Brennstoffe Erdöl, Erdgas und Kohle sollen künftig vorwiegend Sonne und Wind die Energie liefern. Bei der Energiegewinnung selber wird dann kein CO2 freigesetzt. Gänzlich kohlenstofffrei werden die Verfahren, wenn auch alle eingesetzten Geräte, wie zum Beispiel Solarpanele oder Windräder, ohne CO2-Ausstoß hergestellt und entsorgt werden.
Quelle: Helmholtz Klima Initiative
Das gilt auch für den 99 europäische Titel umfassenden BNP Paribas Easy Low Carbon 100 Europe PAB. Die Fondsschwergewichte sind hier der Halbleiter-Produzent ASML mit zehn Prozent, die Pharmakonzerne Novartis und AstraZeneca mit jeweils rund sieben Prozent sowie der Spirituosenhersteller Diageo mit gut fünf Prozent. Während der globale Dekarbonisierungs-ETF von BNP Paribas gerade sein Dreijähriges feiert und damit für die meisten Anleger überhaupt erst investierbar geworden ist, gehört der „Carbon 100 Europe PAB“ mit seinem mehr als fünfjährigen Track-Record und milliardenschweren Volumen zu den Flaggschiffen in diesem Fondssegment.
Eine Anlegerumfrage der Investmentgesellschaft Robeco vom Mai dieses Jahres lässt auf ein rückläufiges Interesse an Climate Investing in jüngster Zeit schließen. Denn die Priorität hierfür ist im weltweiten Durchschnitt von 71 Prozent im Jahr 2023 auf aktuell 62 Prozent gesunken. Einen entsprechenden Nachfragerückgang bestätigen Anbieter aus dem Spitzenfeld der Dekarbonisierungs-ETFs jedoch nicht. Ganz im Gegenteil. Vonseiten BNP Paribas, Franklin Templeton und Deka werden teils deutliche Mittelzuflüsse ausgewiesen. Bei der Deka wird dies vor allem auf die positiven Performanceergebnisse gegenüber den jeweiligen Mutterindizes zurückgeführt, ohne diese genau zu beziffern. Positiv dürfte sich vor allem ausgewirkt haben, dass der Deka MSCI World Climate Change ESG UCITS ETF und der Deka MSCI USA Climate Change ESG UCITS ETF deutlich ihre CO2-Intensität verringert haben, konkret um 11,6 bzw. 16,7 Prozent im Zeitraum Februar 2023 bis Januar 2024 gegenüber den zwölf Monaten zuvor.
„Zusammenfassend lässt sich sagen, dass den Daten von Morningstar Direct zufolge die Zuflüsse in europäische Paris Aligned ETFs im Zeitraum 2019 bis 2021 und erneut bis Juni 2023 stark waren, sich aber 2024 etwas verlangsamten. Bei US-amerikanischen Paris Aligned ETFs folgten die Zuflüsse einem ähnlichen Muster: Sie waren bis 2023 sehr stark, verloren aber 2024 an Schwung“, berichtet Martin Bechtloff, für Deutschland und Österreich verantwortlicher ETF-Vertriebsspezialist von Franklin Templeton. Als Ursachen für den nachlassenden Schwung in diesem Jahr nennt der Marktkenner die Rücknahme der erwarteten Zinssenkungen im ersten Quartal 2024 sowie den Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten, wodurch das Interesse an Engagements im Öl- und Gassektor neu entfacht wurde, die aber in Paris Aligned ETF-Strategien „weitgehend untergewichtet“ sind.
Die entsprechenden ETF-Strategien von Franklin Templeton erzielten laut Fondsanbieter gegenüber den jeweiligen Mutterindizes je nach Betrachtungszeitraum häufig eine Outperformance. Beim Franklin S&P 500 Paris Aligned Climate UCITS ETF war sie in der ersten Hälfte dieses Jahres sogar höher als ein Prozent, zumeist lag sie aber darunter. Entscheidender ist aber etwas anderes: Während die Investmentgesellschaft zum Franklin STOXX Europe 600 Paris Aligned Climate UCITS ETF keine Angaben machte, fällt das Ergebnis beim Franklin S&P 500 Paris Aligned Climate UCITS ETF per Ende März 2024 beachtlich aus. Demnach ist die Kohlenstoffintensität des Portfolios um 68 Prozent niedriger als die des S&P 500 Index. Für den ETF-Experten von Franklin Templeton zeigt das: „Paris Aligned-Strategien können nicht nur eine starke finanzielle Leistung erbringen, sondern auch das Portfolio der Anleger erheblich dekarbonisieren.“
Übrigens: Laut IPCC stellt die gegenwärtige CO2-Konzentration in der Atmosphäre einen Höchststand seit mindestens zwei Millionen Jahren dar.