Der jahrelange Bullenmarkt für festverzinsliche Wertpapiere ging 2022 endgültig zu Ende, betont Georg Nitzlader, Leiter Anleihen bei der Raiffeisen Capital Management. Inflationsanstieg und die darauffolgenden Zinsanhebungen der Zentralbanken haben Unternehmensanleihen im vergangenen Jahr stark unter Druck gebracht. „Der jahrelange Bullenmarkt für festverzinsliche Wertpapiere ist 2022 endgültig zu Ende gegangen – und das mit einem großen Paukenschlag“, so Nitzlader. „Denn jährliche Verluste von 15 Prozent wurden in der Geschichte des Marktes für Euro-Unternehmensanleihen noch nie gesehen. Staatsanleihen schnitten sogar noch schlechter ab und ironischerweise war es der High-Yield-Markt, der in diesem Umfeld noch am besten performen konnte“, so der Anleiheexperte.
Auch wenn die Spreads der Unternehmensanleihen – die aufgrund der EZB-Unterstützung und des Mangels an Alternativen in einem Umfeld negativer Renditen schon davor unnatürlich niedrig waren – sich im Laufe des Jahres zeitweise um mehr als 100 Basispunkte ausgeweitet haben, war 2022 ganz und gar kein typisches Credit-Krisenjahr. Nitzlader: „Was 2022 den Unterschied ausmachte, war der dramatische Anstieg bei Staatsanleihen-Renditen. Zweistellige Inflationsraten zwangen die Zentralbanken weltweit zu einer Rekordzahl an Zinserhöhungen, und das Ende des Zyklus ist noch nicht absehbar. Die Rendite für deutsche Staatsanleihen mit einer Laufzeit von 10 Jahren war Anfang 2022 noch negativ und stand Ende 2022 bei 2,5 Prozent. Aktuell notieren sie bei rund +2,25 Prozent.“
Damit sind die Renditen so attraktiv wie schon lange nicht mehr. Renditen von rund 4,5 Prozent haben wir zuletzt nach der großen Finanzkrise 2008/09 gesehen. Den Emittenten von Unternehmensanleihen geht es gut, auch wenn es beispielsweise in den zyklischen Sektoren wie der Chemie- oder Immobilienbranche einige Probleme gibt und der Höhepunkt der Kreditqualität hinter uns liegt. Der Verschuldungsgrad ist immer noch relativ gering, und die Unternehmen haben die vergangenen Jahre genutzt, um sich attraktive langfristige Renditen zu sichern. Auch Staatsanleihen sind für Anleger wieder attraktiv: Wer Deutschland bis Juni 2024 Geld leiht, bekommt dafür gut vier Prozent Rendite.
RISIKOPRÄMIEN ZULETZT GESTIEGEN
Aufgrund des starken Zinsniveaus ist auch mit einer defensiveren Aufstellung eine interessante Portfolioverzinsung möglich. „Sektorspezifisch erachten wir die Bewertungen von Bankanleihen als attraktiv, die nach den Ereignissen bei der Silicon Valley Bank und der Credit Suisse noch interessanter geworden sind. Allerdings muss man selektiv vorgehen, und die Auswahl der Emittenten ist entscheidend“, so Nitzlader. Darüber hinaus setzen wir auf Emittenten von höherer Qualität mit mittleren Laufzeiten und einem hohen ESG-Score. Bei längeren Laufzeiten ist weiterhin Vorsicht geboten, sie werden jedoch attraktiv, wenn der Höhepunkt der Kerninflation erreicht ist“, zeigt sich Nitzlader sicher.
Trotz massiver Probleme im Bankenbereich hat die US-Notenbank Fed ihre Serie an Zinserhöhungen auch im März fortgesetzt. Sie erhöhte den Schlüsselsatz um einen Viertel-Prozentpunkt auf die neue Spanne von 4,75 bis 5 Prozent. Ziel ist, der hohen Inflation (8,5 Prozent) entgegenzuwirken. Noch vor Kurzem schien die Bekämpfung der Inflation ein Luxusproblem zu sein, denn nicht nur die Silicon Valley Bank, auch Dutzende andere US-Regionalbanken waren von Konkurs bedroht, weil sie aufgrund gestiegener Zinsen auf einem Pulverfass von Anleihen sitzen, die deutlich an Wert verloren haben. „Viele Beobachter nahmen an, die Fed werde ihr Zinstempo drosseln, um Druck von den Banken zu nehmen, doch die Fed blieb ihrem Zinsanhebungskurs treu. Die robuste US-Wirtschaft sowie die nach wie vor hohe Nachfrage lassen einen solchen Schritt zu“, so Nitzlader.
Auch die EZB folgt dem Prinzip, mit höheren Leitzinsen die Preisstabilität wiederherzustellen. Zur Finanzstabilität trägt die EZB mit der Ankündigung bei, im Bedarfsfall ausreichend Liquidität gegen Sicherheiten bereitzustellen. Nitzlader: „Wieder einmal senden die Notenbanken weltweit das Signal aus, im Krisenfall einzuspringen und Finanzinstitute mit Kapital auszustatten. Das wird auch kritisch gesehen, weil immer mehr Geld im System auch die Inflation befeuert.“ Die Inflation zu bekämpfen und gleichzeitig Vertrauen in die Finanzstabilität zu bilden, vor dieser Herausforderung stehen die Währungshüter aktuell: „All das birgt Gefahren für das Finanzsystem. Banken werden vorsichtiger, geben weniger Kredite aus, das schwächt die Wirtschaft. Hinzu kommt, dass das Vertrauen in die Banken nicht nur aufgrund der Bankenpleite in den USA, sondern auch aufgrund der Notveräußerung der Credit Suisse generell erschüttert ist“, so Nitzlader. Die EZB will erst am 4. Mai wieder über eine mögliche Zinserhöhung entscheiden. Gibt es bis dahin keine größeren Verwerfungen, dann wird sie an ihrem Kurs festhalten.
ESG NICHT MEHR WEGZUDENKEN
Das Thema ESG (Environmental, Social und Governance, also Umwelt, Gesellschaft und Unternehmensführung) ist bei Anleihen nicht mehr wegzudenken. „Auch wenn sich im Zuge einer rückläufigen Neuemissionstätigkeit die Emission von Green Bonds und Sustainable Bonds nicht mehr so dynamisch wie in den Vorjahren zeigt, sieht man, dass ohne ESG bei Anleihen gar nichts mehr geht. Und das gilt sowohl für Staatsanleihen als auch für Unternehmensanleihen“, so der Wiener Anleiheexperte. Gleichzeitig gäbe es sehr viele verschiedene Definitionen von Nachhaltigkeit, weshalb man immer wieder zu staunen hätte, welche Anleihen in nachhaltigen Portfolios zu finden seien. „Was aber jedenfalls an den Rentenmärkten auffällt, ist, dass die Kosten für Unternehmen mit ‚Nachhaltigkeits-Makel‘ immer größer werden. Auch schlechte Governance wird immer kritischer beurteilt und mit entsprechenden Risikoaufschlägen bedacht“, so Nitzlader. Die Volumina nachhaltig gemanagter Anleihen haben sich seit Ende 2020 von 2,9 Milliarden Euro auf 5,4 Milliarden Euro fast verdoppelt.