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Radikalkur gegen die Inflation

September 2022
Jan Viebig, Chief Investment Officer der ODDO BHF AG, hält einen Anstieg der Inflationsrate auf über 10 Prozent in den kommenden Monaten in der Eurozone für möglich und meint, mehrere deutliche Zinsanhebungen der EZB seien notwendig.
ODDO BHF AG
Jan Viebig, ODDO BHF AG

Jan Viebig, Chief Investment Officer der ODDO BHF AG, befasst sich mit dem Risiko, dass sich höhere Inflationserwartungen in der Bevölkerung verankern, und den möglichen Auswirkungen auf die Zinsen.

Inflation über 10 Prozent?

Im Laufe der kommenden Monate ist durchaus damit zu rechnen, dass die Schallmauer von 10 Prozent Inflation durchbrochen wird. Nach langem Zögern versucht die EZB nun entschlossen gegenzusteuern.

Die EZB prognostiziert für das Jahr 2023 ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 0,9 Prozent. Tatsächlich beinhalten die Prognosen ein leicht negatives Wachstum im weiteren Jahresverlauf 2022, gefolgt von einer Belebung der Wirtschaft im Frühjahr 2023. Die Wachstumsprognose ist bemerkenswert optimistisch angesichts der hartnäckig hohen Inflation. Diese sieht die EZB mit 5,5 Prozent im Jahr 2023 noch deutlich über ihrem Preisstabilitätsziel von 2 Prozent. Eine weiter stark erhöhte Inflation sehen auch die von der EZB im Rahmen der Consumer Expectations Survey befragten Verbraucher. Im Juli rechneten Verbraucher im Durchschnitt mit einer Inflationsrate von 7,1 Prozent für die nächsten 12 Monate und mit 4,7 Prozent p.a. über die nächsten drei Jahre.

Mehrere deutliche Zinsanhebungen notwendig

Um die ausufernden Inflationserwartungen der Verbraucher wieder nahe 2 Prozent zu verankern und die Inflation zeitnah wieder Richtung 2 Prozent zu drücken, wären wahrscheinlich noch mehrere deutliche Zinsanhebungen nötig. Ob die EZB das schafft, ohne eine Rezession auszulösen, bleibt abzuwarten. Mit Blick auf die hohe Unsicherheit bei der Energiepreisentwicklung in den nächsten Monaten erscheint dies eine große Herausforderung für die EZB, um ihr Basisszenario von 0,9 Prozent BIP-Wachstum zu realisieren.

Die deutlich höheren Inflationsprognosen der EZB in Verbindung mit Risiken für die Verankerung der Inflationserwartungen lassen weitere deutlich Zinsanhebungen erwarten. Die Marktteilnehmer veranschlagen einen Anstieg der Leitzinsen auf etwa 2,5 Prozent bis Juli 2023. Vor allem wenn eine erste Rezession ausbleiben sollte, bestünde ein realistisches Risiko von Renditeanstiegen im Euroraum auch über diesjährigen Höchststand von Juni hinaus – selbst wenn die EZB auf einen Abbau der Anleihebestände (Quantitative Tightening) erst einmal verzichtet. Speziell am kurzen Ende dürften der Renditeanstieg während der Zinsanhebungsphase am stärksten ausfallen. Diese Gemengelage veranlasst uns dazu, weiter vorsichtig zu bleiben und die Duration der Anleihen in den Portfolios kurz zu halten.