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Richtungsweisende US-Wahlen

September 2024
Der Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen dürfte deutliche Folgen für Anleger weltweit haben, konstatiert Supriya Menon, Wellington Management. Sie analysiert mögliche Auswirkungen.
Wellington Management
Supriya Menon, Wellington Management

Der Ausgang der US-Präsidentschaftswahl im November könnte sich erheblich auf Anleger in Europa und weltweit auswirken, warnt Supriya Menon, Head of Multi Asset Strategy – EMEA beim US-Vermögensverwalter Wellington Management. Für Anleger sind laut der Expertin vor allem die Auswirkungen auf die Handels- und Außenpolitik sowie die Veränderungen in der Finanz- und Geldpolitik relevant, die auf die Inflation, die Zinserwartungen und den US-Dollar wirken könnten.

Wie genau diese Effekte aussehen können, sei noch unklar, so Menon. Denn: Das Rennen ist sehr eng, das Schicksal der beiden Parteien könnte sich noch dramatisch ändern und die tatsächlichen Auswirkungen des Wahlausgangs können sehr unterschiedlich ausfallen – je nachdem, ob die Wahlen im November zu einer geteilten Regierung oder zu einem umfassenden Wahlsieg führen.

Lesen Sie im nachfolgenden Kommentar, warum die Wellington-Expertin mit Blick auf die US-Wahl eine Portfoliopositionierung für äußerst schwierig hält, wie sie das gesamtwirtschaftliche Bild der nächsten zwölf Monate beurteilt und welche Rückschlüsse sie mit Blick auf die einzelnen, von europäischen Investoren möglichst genau im Auge zu behaltenden Bereiche zieht:

Während beide Präsidentschaftskandidaten die Handelspolitik in der einen oder anderen Form einschränken würden, deuten Trumps Äußerungen darauf hin, dass er im Falle seiner Wahl versuchen könnte, die Zölle zu erhöhen, möglicherweise um insgesamt zehn Prozent und bis hin zu 60 Prozent für Importe aus China. Die Handels- und Verteidigungspolitik würde wahrscheinlich unberechenbarer werden.

NEGATIVE FOLGEN FÜR EUROPA

Erstens denke ich, dass dies unverhältnismäßig negative Auswirkungen auf die europäischen Volkswirtschaften haben könnte, insbesondere auf die bereits angeschlagene deutsche Wirtschaft, die einen großen bilateralen Handelsüberschuss mit den USA hat, der etwa zehn Prozent ihrer Exporte ausmacht. Trumps Bereitschaft, Zölle zu erheben, würde wahrscheinlich eine weitere Herausforderung für das industrieorientierte Modell Deutschlands darstellen und könnte letztlich die Kluft zwischen Deutschland und der weniger exportabhängigen europäischen Peripherie vergrößern. Darüber hinaus würde sich hierdurch die zunehmende Spaltung zwischen dem verarbeitenden Gewerbe und dem Dienstleistungssektor verstärken, wenn diese Auswirkungen zum Tragen kommen, was zu weiteren Divergenzen innerhalb des Euroraums führen könnte, wobei das verarbeitende Gewerbe in einer Wirtschaft der zwei Geschwindigkeiten weiterhin eine Belastung für das Wachstum darstellen würde.

Zweitens würden sich Ausfuhrzölle zwar auch auf die europäischen Aktienmärkte auswirken. Die direkten Effekte von Ausfuhrbeschränkungen wären jedoch eher begrenzt, da etwa ein Viertel der Einnahmen europäischer Unternehmen in den USA erwirtschaftet wird, jedoch ein weitaus geringerer Anteil auf direkte Warenexporte entfällt, da ein Teil der Produktion in den USA stattfindet und ein Teil dieser Einnahmen aus Dienstleistungen stammt. Insgesamt dürfte das größere Risiko für die Aktienmärkte eher in den indirekten Auswirkungen einer Verlangsamung des inländischen Wirtschaftswachstums aufgrund einer Abschwächung des Handels liegen als in einer spezifischen Beeinträchtigung der Auslandserträge.

Drittens würden sowohl Trump als auch Harris wahrscheinlich weiterhin heimische Industrien wie Künstliche Intelligenz (KI), fortschrittliche Halbleiter und Umwelttechnologien fördern, die für den strategischen Wettbewerb entscheidend sind. Das bedeutet, dass Importe in die USA in diesen Sektoren weiterhin anfällig bleiben, ebenso wie in Sektoren, die starkem Protektionismus ausgesetzt sind, wie die Automobilzulieferkette und Subventionen für saubere Energie.

Insgesamt glaube ich, dass die Politik beider Kandidaten zu einer weiteren Fragmentierung des Welthandels beitragen könnte. Würde Europa Vergeltungsmaßnahmen ergreifen? Wir gehen zwar nicht davon aus, dass die Europäische Union den Handel von sich aus einschränken wird, aber es ist möglich, dass sie Vergeltungsmaßnahmen gegen bestimmte Branchen ergreift oder US-Unternehmen sogar mit einer Steuer auf digitale Dienstleistungen belegt.

Die wichtigste wirtschaftliche Konsequenz von Zöllen ist meines Erachtens, dass sie kurzfristig die Inflation anheizen könnten, wenn sich die Preise anpassen, und mittelfristig die Nachfrage und das Wachstum belasten. Einem Bericht der Tax Foundation zufolge könnten sich die von Trump vorgeschlagenen Zölle auf rund 524 Milliarden US-Dollar belaufen und das jährliche Bruttoinlandsprodukt (BIP) der USA langfristig um 0,8 Prozent reduzieren. Sollte Harris die Wahl gewinnen und die Handelsstrategie von Biden fortsetzen, wären die wirtschaftlichen Auswirkungen geringer.

FISKALPOLITIK IM FOKUS

Unabhängig vom Wahlausgang wird sich das Haushaltsdefizit der USA deutlich erhöhen. Das Congressional Budget Office (CBO) prognostiziert einen Anstieg der Schuldenquote von 99 Prozent im Juni 2024 auf 122 Prozent im Juni 2034. Es handelt sich dabei lediglich um eine Ausgangsschätzung, in der die von den Kandidaten vorgeschlagenen spezifischen Maßnahmen nicht berücksichtigt sind.

Unser Makroteam schätzt, dass das kumulierte Defizit unter Trumps Vorschlägen in den nächsten zehn Jahren um etwa 2 bis 4 Billionen US-Dollar steigen könnte, verglichen mit etwa 1 bis 2 Billionen US-Dollar unter einer Harris-Regierung, wenn man davon ausgeht, dass Harris im Wesentlichen Bidens Plan mit einigen Änderungen übernimmt.

Weitere defiziterhöhende Maßnahmen würden in einem völlig anderen finanzpolitischen Kontext stattfinden als die, die Trump im Jahr 2016 ergriffen hatte. Die Daten des CBO zeigen, dass die Schuldenquote seitdem sowohl unter Trump als auch unter Biden um rund 25 Prozent gestiegen ist. In der jüngeren Vergangenheit haben die USA ihre Haushaltsdefizite in Zeiten überdurchschnittlichen Wachstums ausgeweitet, das heißt die Fiskalpolitik war prozyklisch, und es besteht die Gefahr, dass sich dies fortsetzt.

Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der Ausgang der Kongresswahlen für die Fiskalpolitik von besonderer Bedeutung sein wird. Bei Zöllen und Einwanderung haben Präsidenten in der Regel einen großen Handlungsspielraum, ohne die Zustimmung des Kongresses einholen zu müssen, so dass die Fiskalpolitik der Bereich ist, der am stärksten vom Ausgang der Kongresswahlen bestimmt wird. Ein geteilter Kongress kann die meisten politischen Vorschläge erheblich verwässern, obwohl diese Konstellation zu einer Zeit, in der einige der Steuersenkungen des Tax Cuts and Jobs Act automatisch auslaufen, auch riskant sein kann – eine Nichtverlängerung würde zu Steuererhöhungen für die Bürger führen und den Haushalt belasten. In der Vergangenheit hat der Rentenmarkt einen geteilten Kongress bevorzugt, da dies bedeuten würde, dass der Inflations- und Zinsdruck, der von einigen der vorgeschlagenen extremeren fiskalpolitischen Maßnahmen ausgeht, besser eingedämmt wird.

Eine weitere fiskalische Expansion könnte die aufkeimenden Bedenken über die Tragfähigkeit der Schulden bei europäischen und internationalen Investoren verstärken, aber ich gehe davon aus, dass die greifbarsten Auswirkungen über die US-Geldpolitik zu spüren sein werden, die wiederum die europäische und globale Geldpolitik beeinflussen wird.

Wenn Harris gewinnt, erwarte ich, dass der Status quo in Bezug auf die US-Notenbank (Fed) und die Geldpolitik beibehalten wird. Eine zweite Amtszeit Trumps hingegen dürfte die Geldpolitik unberechenbarer machen und möglicherweise zu höheren Zinsen führen.

Trump hat zudem gewisse politische Einschränkungen für die Fed und ihre Fähigkeit zur Festsetzung der Zinssätze vorgeschlagen, obwohl diese Vorschläge vor ihrer Umsetzung auf erheblichen Widerstand stoßen würden. Jeder Versuch, die Unabhängigkeit der Fed zu untergraben, könnte jedoch schädlich sein, auch wenn eine Umsetzung unwahrscheinlich ist.

IMPLIKATIONEN FÜR ANLEGER

Eine expansivere Fiskalpolitik würde zu einem höheren realen Gleichgewichtszins und einer höheren Breakeven-Inflationsrate führen, was sich in höheren Renditen für 10-jährige Staatsanleihen niederschlagen könnte. Die Zinsstrukturkurve würde wahrscheinlich steiler werden. Der US-Dollar würde sich normalerweise mit einer Verschiebung der relativen Wachstumsimpulse und der Zinsdifferenzen zugunsten der USA bewegen. Für europäische Anleger könnte dies zweierlei Folgen haben: Zum einen könnte dies den Spielraum der europäischen Zentralbanken einschränken, sich zu weit von den USA zu entfernen. Zum anderen könnte es zu zusätzlichen Spannungen kommen, da eine weitere Aufwertung des Dollars die europäischen Exporte in die USA ankurbeln würde (was teilweise durch mögliche Zölle ausgeglichen werden könnte), während gleichzeitig europäische Ersparnisse in die US-Kapitalmärkte fließen.

Einige weitere Bereiche könnten für die US-Aktienmärkte von Bedeutung sein. Die Zuwanderung ist eindeutig ein Faktor, der die Entwicklung beeinflussen kann, da eine deutlich geringere – oder sogar negative – Nettozuwanderung die Löhne auf einem angespannten Arbeitsmarkt in die Höhe treiben und zu angebotsinduzierter Inflation führen könnte. Dies dürfte bei einer Präsidentschaft Trumps eher der Fall sein. Andererseits gehen unsere Branchenanalysten davon aus, dass eine Präsidentschaft Trumps zu einer Lockerung der Regulierung in den Bereichen Gesundheitswesen, Energie sowie Fusionen und Übernahmen führen würde, was für diese Sektoren im Besonderen und den Aktienmarkt im Allgemeinen zumindest kurzfristig positiv wäre. Eine zunehmende Divergenz bei der Regulierung und den Energiekosten würde außerdem US-Unternehmen gegenüber europäischen Unternehmen begünstigen (zusätzlich zu den beschlossenen Steuersenkungen) und sowohl zu einer Outperformance der USA als auch zu einer Ausweitung der US-Performance auf Nachzügler wie Small-Cap-Aktien führen.

Wir als Team sind der Meinung, dass es sich um eine richtungsweisende, aber sehr unvorhersehbare Wahl handelt mit einer großen Bandbreite an möglichen Ergebnissen, die eine Portfoliopositionierung äußerst schwierig macht. Stattdessen konzentrieren wir uns auf das gesamtwirtschaftliche Bild der nächsten zwölf Monate, das aus unserer Sicht im Großen und Ganzen positiv ist. Auch wenn wir mit einer gewissen Volatilität rechnen, während sich der Markt mit den Veränderungen in der Wahllandschaft sowie den Wachstums- und Zinsaussichten auseinandersetzt, schätzen wir die makroökonomischen und ertragsbezogenen Fundamentaldaten weiterhin positiv ein. Außerdem erwarten wir, dass die sinkende Inflation den Zentralbanken einen gewissen Spielraum gibt. Der Zinsmarkt dürfte am empfindlichsten auf Veränderungen der Wahlwahrscheinlichkeiten reagieren, insbesondere wenn die Wahrscheinlichkeit eines umfassenden Wahlsiegs der Republikaner steigt. Aus der Sicht eines europäischen Anlegers beobachten wir aufmerksam die Entwicklungen in der Handels- und Außenpolitik sowie die Auswirkungen fiskalpolitischer und anderer innenpolitischer Maßnahmen auf die Entwicklung der US-Zinsen und der US-Währung.