Vielfach muss bei Betriebsrenten noch der vollständige Erhalt der zugesagten Beiträge garantiert werden. „Das hat sich als Hemmschuh entwickelt“, so die Bewertung des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Denn daraus resultiere zwar eine sichere, aber eben auch weniger renditestarke Kapitalanlage – und letztlich geringere Rente. Das sorgt – trotz des jüngsten Zinsanstiegs – für Reformdruck, auch mehr als fünf Jahre nach Einführung des Sozialpartnermodells (SPM), das bisweilen nach der Ex-Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles, auch „Nahles-Rente“ genannt wird. Ihr Charakteristikum: Bei der neuen Betriebsrente gibt es keine Haftung des Arbeitgebers und keine Garantieauflagen. Damit sollen die höchsten jemals gezahlten Betriebsrenten Realität werden.
Das Geld der Beschäftigten landet in einer gemeinsamen Einrichtung von Gewerkschaft und Arbeitgeberverband – die von Banken oder Versicherern gemanagt wird. Das SPM soll eine Win-Win-Situation für beide Sozialpartner darstellen. Es kommt ohne Haftungsrisiken für Arbeitgeber aus, weil lediglich eine reine Beitragszusage (rBZ) notwendig ist. Diese Pensionseinrichtung muss immer auf Basis eines Tarifvertrages entstehen und von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) freigegeben werden. Die besseren Ertragschancen für Rentnerinnen und Rentner – weil Garantien verboten und so risikoreichere Anlagen möglich sind – sollen nicht auf die Kosten der Sicherheit gehen. Modellrechnungen zeigen, dass über SPM im Vergleich zu anderen Versicherungsprodukten auf dem Markt deutlich höhere Renten möglich sind.
„Das Sozialpartnermodell ist keine Zockerrente“, sagt Prof. Oskar Goecke vom Institut für Versicherungswesen an der Technischen Hochschule Köln. Es sei stabil, kosteneffizient und werde eben durch die Sozialpartner kontrolliert. Garantien zahlen sich nach einer Analyse des Wissenschaftlers von 300 Sparverträgen seit 1950 einfach nicht aus. Dabei wurden die kaufkraftbereinigten Renditen von Bundesanleihen jenen des Dax gegenübergestellt. „Im Ergebnis erzielten die Verträge, die in den DAX investieren, im Durchschnitt eine Rente von 1.000 Euro, während es bei sicheren Verträgen nur 500 Euro waren“, erläutert Goecke. Nur einer der fiktiven Verträge sei im Dax schlechter gewesen als bei Bundesanleihen. Um solche Kunden, die das Pech haben, dass ihr Vertrag in einem Börsentief ausläuft, nicht zu schädigen, baue man im SPM eben Reserven ein. Das SPM sei vom Konzept und der gesetzlichen Begleitung her exzellent, denn es erlaube, ähnlich wie Modelle in Schweden und Großbritannien, eine hohe Sachwertorientierung, stellt etwa Henriette Meissner fest. Sie ist Generalbevollmächtigte für die bAV bei der Stuttgarter Lebensversicherung. Zudem werde im SPM die Rentenphase intelligent begleitet.
Trotzdem kommt die Nahles-Rente, die seit 2018 rechtlich möglich ist, einfach nicht recht in die Gänge. So kam es Ende 2023 zu einem echten Rückschlag: Nach fünf Jahren Entwicklung lehnte die IG Metall Baden-Württemberg das Projekt ab. Grundsätzlich fürchten sich die Gewerkschaften wohl davor, dass bei ihren Mitgliedern später einmal die Rente sinken könnte. Auch die Deutsche Betriebsrente (DDBR), die erstmals für die rund 11.000 Mitarbeiter der Talanx-Versicherung eine Nahles-Rente verwirklichen soll, kommt nicht von der Stelle. Das SPM sei „aktuell“ noch nicht in der Umsetzung, so eine Sprecherin der Talanx AG auf Anfrage von FONDS exklusiv. „Bei der Abstimmung des Vertragswerks zum SPM-Haustarifvertrag für die Talanx AG mit der BaFin wurden gute Fortschritte erzielt“, heißt es weiter. Zu den Gründen, woran es bei der Umsetzung hakt, will man sich jedoch nicht äußern. Tatsächlich sollte der Startschuss für den SPM-Haustarifvertrag der Talanx schon zum 1. Juli 2021 fallen. Bei der Talanx zeigt man sich jedenfalls von der Idee des SPM nach wie vor überzeugt. Und der Pressesprecher des Partners Zurich stellt fest: „Was die zukünftige Entwicklung angeht, so sind wir in den Prognosen zurückhaltend.“
Drei Hoffnungsträger am start
Hoffnung verbreiten hingegen die SPM „Energie“, „Chemie“ und „Finanzwirtschaft“. Das SPM-Energie gilt derzeit schon für den Versorger Uniper. Als Versorgungsträger fungiert der Metzler Sozialpartner Pensionsfonds. 2023 hat Uniper den Deutschen bAV-Preis in der Kategorie der Großunternehmen gewonnen. „Die Einführung einer reinen Beitragszusage und des ersten Sozialpartnermodells in Deutschland ist ein echtes Leuchtturmprojekt“, so die Jury. Uniper setze dabei auf Chancenorientierung, ohne das Primat der Planbarkeit und Stabilität der angestrebten Rente außer Acht zu lassen. Grund sei ein Sicherungskonzept, das etwaige Schwankungen generationengerecht mindere und ausgleiche.
Versorgungsträger für SPM-Chemie ist die Pension Consult Beratungsgesellschaft für Altersvorsorge mbH, ein Vermittler der R+V Lebensversicherung. Laut der Assekuranz machen inzwischen knapp 70 Unternehmen der Chemiebranche beim SPM mit (siehe Schaubild unten). „Mehr als 3.100 Einzelverträge sind bisher angelegt“, so ein Sprecher. Mit vielen weiteren Unternehmen stehe die R+V über einen Beitritt zum SPM in der Abstimmung. „Darüber hinaus vernehmen wir in Gesprächen aus der Branche großes Interesse am SPM. Deshalb erwarten wir eine Steigerung der teilnehmenden Unternehmen und der Zahl der Einzelverträge“, heißt es.
Das SPM-Finanzwirtschaft konnte die Deutsche Bank als Kunden gewinnen. Die Maxrente des BVV Pensionsfonds soll für die rund 4.000 Beschäftigten in Tochtergesellschaften des ehemaligen Postbankkonzerns ab Januar 2025 starten. „Wir sind derzeit mit weiteren interessierten Unternehmen im Gespräch,“ sagt Marco Herrmann, Mitglied des Vorstandes des BVV. Das Potential in der Branche beziffert er auf rund 40.000 Beschäftigte.
Das SPM könnte die betriebliche Altersvorsorge (bAV) in nie gekannte Höhen hieven. Die wenigen Modelle reichen aber bei weitem nicht dafür aus, eine Breitenwirkung zu erzielen. Daher soll der Gesetzgeber auf die Nachfrage im Markt reagieren und tarifungebundenen Arbeitgebern ein „Andocken“ ermöglichen. Wie das fair und ohne Verlust an Qualität funktionieren könnte, ist derzeit die „Gretchenfrage.“ Ein wichtiges Ziel ist es, dass die Tarifrente nicht nur für nichttarifgebundene Arbeitgeber und Beschäftigte aus der eigenen Branche geöffnet wird, sondern darüber hinaus für weitere Teilnehmende über die Tarifgrenzen hinaus. Damit würden Arbeitgeber und Beschäftigte aus Wirtschaftsbereichen vom SPM profitieren, in denen noch keine Tarifsysteme bestehen. „Will man mehr und höhere Betriebsrenten, so führt am Ausbau der reinen Beitragszusage und dem Sozialpartnermodell kein Weg vorbei“, betont Klaus Stiefermann von der
Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung (aba). Die Nichtzugänglichkeit für „Nichttarifgebundene“ ist nach Meinung des Experten das größte Verbreitungshemmnis. „Diese Einschätzung wird vom Bundesarbeitsministerium geteilt“, erläutert Stiefermann. Er hofft, dass die aba-Empfehlungen im Referentenentwurf zu einem neuen Betriebsrentenstärkungsgesetz – der bald erwartet wird – enthalten sind.
Interesse bei freien berufen
Nachfrage gibt es ganz offensichtlich. So werden laut dem Deutschen Anwaltsblatt derzeit im Bundesverband der Freien Berufe (BFB) Vorschläge erarbeitet, wie auch Anwälte für ihre Mitarbeitenden das SPM nutzen können. Auch andere freie Berufe, wie Ärzte und Architekten, sollen laut der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über einen SPM-Einstieg nachdenken. Denn in diesen Berufen verdienen die Beschäftigten in der Regel deutlich unter dem Durchschnitt. Auch die Durchdringung der bAV durch die klassische Entgeltumwandlung soll weit unter dem Niveau anderer Branchen liegen.
Doch selbst wenn der Zugang zum SPM rechtlich deutlich breiter wird, stellt sich die Frage der Durchdringung. Die neue „Tarifrente“ soll in der Regel über Onlineplattformen verwaltet werden – für Versicherungsmakler dürfte es hier schwer werden, einen Fuß in die Tür zu bekommen. In der Vergangenheit wurde vonseiten der Talanx behauptet, dass die neue Art der Betriebsrente einem Arbeitnehmer in zehn Minuten seriös erklärt werden könne, sodass dieser anschließend selbstständig eine Entscheidung treffen könnte.
Solche Äußerungen sieht man beim Bundesverband Deutscher Versicherungsmakler (BDVM) skeptisch. Denn weiterhin sei Beratung nötig, um Vor- und Nachteile richtig zu erfassen und abzuwägen. „In solchen Fällen dürfte der Makler wohl mit einem Honorar des Arbeitgebers vergütet werden“, heißt es beim BDVM. Für die Unternehmen könnten damit aber die Kostenvorteile geschmälert werden, denn vielfach sind heute Beratungskosten in der Kalkulation nur marginal berücksichtigt. Laut der Vertriebswege-Studie für die Lebensversicherung, die regelmäßig durch das Beratungshaus Willis Towers Watson erstellt wird, dominieren jedenfalls unabhängige Vermittler seit langem das bAV-Neugeschäft.
SPM-Chemie konkret
Laut dem Tarifvertrag über Einmalzahlungen und Altersvorsorge (TEA) können für das Jahr 2024 maximal 3.624 Euro von Beschäftigten umgewandelt werden. Die Beiträge sind steuerfrei und beitragsfrei in der Sozialversicherung. Darin enthalten sind neben der eigenen Entgeltumwandlung der Entgeltumwandlungsgrundbetrag sowie der zusätzliche Arbeitgeberbeitrag. Wird im Betrieb von der Öffnungsklausel im TEA Gebrauch gemacht, können zusätzlich weitere 4 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze (BBG) steuerfrei, allerdings sozialabgabenpflichtig eingezahlt werden. Für 2024 sind dies zusammen 7.248 Euro.