Inmitten von Jahresrückblicken und Wirtschaftsanalysen finden sich viele interessante Diskussionen über die Gesundheit und Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft. „Sowohl die US- als auch die globale Wirtschaft haben sich dieses Jahr deutlich besser entwickelt, als es viele Prognosen vermuten ließen“, resümiert Thomas Grüner, Grüner und Vice Chairman von Grüner Fisher Investments. Während dabei viele lobende Worte für die Fed und das Weiße Haus gefallen sein, stelle sich die Frage: Ist diese positive Entwicklung wirklich das Ergebnis gezielter politischer Entscheidungen? „Es scheint, dass in der heutigen schnelllebigen Medienlandschaft oft zu schnell auf politische Maßnahmen geachtet wird, ohne die vielfältigen Faktoren zu berücksichtigen, die die Wirtschaft beeinflussen“, so Grüner.
Einige Analysten würden dazu neigen, die politischen Entscheidungen in den Vordergrund zu stellen und ihnen den Hauptanteil am wirtschaftlichen Aufschwung zuzuschreiben. Die Wirtschaft gestalte sich in der Realität aber weitaus komplexer und die tatsächlichen Auswirkungen solcher Maßnahmen könnten oft geringer sein als angenommen, da andere Faktoren ebenfalls eine Rolle spielen würden.
„Die letzten Jahre haben gezeigt, dass es einfacher ist, eine Wirtschaft abzuwürgen als sie wieder anzukurbeln“, erläutert der Experte. „Verschiedene Länder sind zu unterschiedlichen Zeiten und mit unterschiedlichem Tempo aus dem COVID-Lockdown gekommen, was zu Nachfrage- und Angebotsschwankungen geführt hat.“ Selbst innerhalb der USA seien einige Bundesstaaten und Branchen früher geöffnet worden als andere, was zu Ungleichgewichten geführt habe. Gleichzeitig hätten sich die globalen Energiemärkte aufgrund von Russlands Einmarsch in der Ukraine und den daraus resultierenden Sanktionen neu ausrichten müssen.
DIE WAHREN ENTSCHEIDUNGSTRÄGER
„Ein Großteil der Entscheidungen zur Wiedereröffnung wurde jedoch unternehmensspezifisch getroffen und nicht von den Regierungen vorgegeben“, so Grüner. „Letztendlich reagieren Unternehmen auf die vorherrschenden Bedingungen und Anreize. Die Regierungen können diese Anreize beeinflussen, aber das ist auch schon alles.“ Geänderte Steuersätze seien ein Faktor, würden aber nicht den langfristigen Ertrag einer neuen Investition bestimmen. Subventionen würden ein Projekt nicht plötzlich lohnenswert machen, wenn die Rendite minimal sei. „Berechnungen wie diese, die jeden Tag angestellt werden, bestimmen das Auf und Ab der Wirtschaft“, betont Grüner. „Führungskräfte stellen ein, wenn das Geschäft gut läuft und sie mehr Personal brauchen, und nicht, weil die Fed dies oder jenes mit den Zinssätzen gemacht hat.“ Man fahre in den Urlaub, wenn man Lust und finanziellen Spielraum dazu habe, und nicht, weil die Regierung eine große Reiseoffensive gestartet habe. Und auch habe Präsident Biden Taylor Swift nicht befohlen, auf Tournee zu gehen. Die Fed habe auch keine Konzertkarten gedruckt. Das alles seieinfach im Rahmen der Geschäftsentscheidungen des privaten Sektors geschehen.
„Während politische Maßnahmen zweifellos Auswirkungen haben können, sollten sie nicht als alleinige Triebfedern für wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg betrachtet werden“, resümiert Grüner. „Unabhängig davon, wer von politischer Seite die Hand am Ruder der Wirtschaft hat und ob diese Hand fest oder wackelig ist – die stärkste Hand ist die des Marktes – oft unsichtbar.“ Eine schlechte Politik könne durchaus Unsicherheit hervorrufen, die die Risikobereitschaft verringere. Aber das bedeute nicht, dass die Politik immer ein Katalysator für alles ist, was passiert. Die meiste Zeit sei sie einfach nur da, laufe im Hintergrund, während Privatleute und Unternehmen Entscheidungen treffen würden, die die Wirtschaft letztlich beeinflussen.