Jan Viebig, Chief Investment Officer der ODDO BHF SE, analysiert die US-amerikanischen Aktienmärkte, die trotz hoher Bewertungen für langfristig ausgerichtete Anleger relevant bleiben, wie er meint:
1. Quartalsberichte der Unternehmen
Einige wichtige Unternehmen haben vergangene Woche über den Geschäftsverlauf im zweiten Quartal 2024 berichtet. Insgesamt entwickelt sich die Berichtssaison in den USA gut. Laut Factset dürfte sich das Gewinnwachstum am Ende der Berichtssaison auf rund 10 Prozent belaufen. 80 Prozent der Unternehmen konnten bis dato die Erwartungen übertreffen. Insgesamt lagen die Gewinne rund 4 Prozent höher als im Vorfeld von den Analysten geschätzt.
Vielen Anlegern in den USA machen noch die jüngsten, zum Teil heftigen Kursverluste im Tech-Bereich zu schaffen. Besonders bei Microsoft hat sich bei der Vorlage der aktuellen Zahlen bestätigt, dass der Software-Konzern weiterhin stark in Künstliche Intelligenz investieren muss. Laut CFO Amy Hood werden die Kapitalausgaben im Geschäftsjahr 2025 über denen von 2024 liegen. Das bringt die Investoren in ein Dilemma: Auf der einen Seite belasten Investitionen auf kurze Sicht den freien Cashflow. Auf der anderen Seite sind diese Investitionen unter Umständen notwendig, um die Grundlage für künftiges Gewinnwachstum zu legen.
Aus unserer Sicht ist es wesentlich, nicht auf gut Glück in einzelne vielversprechende Titel aus dem Tech-Sektor zu investieren, sondern die gesamte Wertschöpfungskette im Blick zu behalten – von der Halbleiterproduktion über Software, Hardware, Beratungsunternehmen und Datenspeicherung bis hin zu den Anwendern….
2. Makroökonomische Lage
Zuletzt zeigte der US-Arbeitsmarkt leichte Schwächen. Die Dynamik bei der Schaffung neuer Stellen hat nachgelassen, und auch der Lohnanstieg hat sich verlangsamt. Das Wachstum der Löhne außerhalb der Landwirtschaft ging im zweiten Quartal 2024 auf annualisiert 1,4 Prozent zurück, nachdem es im ersten Quartal bei 2,1 Prozent lag. Die Arbeitslosenquote ist seit ihrem Tief nach der Corona-Krise im April 2023 von 3,4 Prozent auf 4,1 Prozent gestiegen.
Im Juni 2024 hat sich die Inflation in den USA weiter abgeschwächt. Gemessen am Verbraucherpreisindex Personal Consumption Expenditures (PCE) ist die jährliche Teuerungsrate auf 2,5 Prozent zurückgegangen. Damit lag sie sowohl unter dem Mai-Wert von 2,6 Prozent wie auch unter den Erwartungen von ebenfalls 2,6 Prozent für Juni. Gleichzeitig ist das Wachstum der US-Wirtschaft mit 2,8 Prozent im zweiten Quartal 2024 überraschend stark ausgefallen. Investoren sind gut beraten, auf vorlaufende Indikatoren zu achten. Der ISM Manufacturing Index, der am Donnerstag veröffentlicht wurde, liegt deutlich unter den Erwartungen und deutet darauf hin, dass sich die Nachfrage in den USA abschwächt.
3. Leitzinsen
Für die amerikanischen Notenbanker ergab sich aus der makroökonomischen Datenlage keine eindeutige Handlungsempfehlung: Die leichte Schwäche am Arbeitsmarkt wie auch die zurückgehende Inflationsrate sprechen tendenziell für eine Lockerung der Geldpolitik. Das immer noch relativ starke Wirtschaftswachstum im zweiten Quartal steht dieser jedoch eher entgegen. Insofern ist es nicht überraschend, dass die Fed ihre Leitzinsen am Mittwochabend im Korridor von 5,25 bis 5,50 Prozent belassen hat.
Demzufolge gehen die Märkte jetzt fest davon aus, dass eine Zinssenkung im September kommen wird. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit weiter gestiegen ist, hat die Fed einen Zinsschritt noch nicht beschlossen. Die Fed wird auf Basis der im September aktuellen Datenlage entscheiden. Und an dieser kann sich durch geopolitische Risiken – etwa durch eine Verschärfung der Sicherheitslage im Nahen Osten oder der Handelsauseinandersetzung mit China – noch einiges ändern.
4. Wahlkampf
Die voraussichtliche Präsidentschaftskandidatin, Kamala Harris, hat dem amerikanischen Wahlkampf eine unbekannte Größe hinzugefügt.
Vor allem ein wirtschaftspolitisches Programm wird Harris noch entwerfen müssen. Dabei wird sie sich wohl weitgehend auf Bidens Politik stützen. Denn in seiner Amtszeit hat sich die US-Wirtschaft außerordentlich stark entwickelt, was ja auch an den US-Aktienmärkten honoriert worden ist.
Angesichts ihrer politischen Positionierung ist es keine Überraschung, wenn Harris soziale Komponenten in ihrem Wirtschaftsprogramm betonen wird. Zentrale Fragen an die mögliche Kandidatin sind bisher offen: Wie wird Harris die Energiepolitik der USA gestalten und wie die Wirtschaftsbeziehungen zu China?