Lange hat es gedauert, bis eine deutsche Bundesregierung die Ertragskraft der Aktienmärkte nutzt, um das gesetzliche Rentensystem zu stabilisieren. Postwendend und nicht überraschend folgten wieder die bekannten Kassandrarufe. So warnte beispielsweise Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbandes VdK, vor „Zockerei“ an der Börse. Und die Ex-Linke, Sahra Wagenknecht, sprach gar von einer „Casino-Rente“.
Das ist das Übel von Ideologien, die einmal verfestigt, dauerhaft über den Verstand siegen. Schließlich bedeutet der Kauf von Aktien nichts anderes, als sich an der langfristigen Entwicklung von Unternehmen finanziell zu beteiligen. Das ist intelligenter, als sich mit dem Festgeldzins von Banken abspeisen zu lassen, die ihrerseits an den Aktienmärkten investieren. Denn dort nimmt das Anlagerisiko – das haben Studien längst bewiesen – ab einer Anlagedauer von zehn Jahren und bei einer breiten Streuung der Investments spürbar ab.
Kurzum, es geht schlicht um eine Teilhabe am Produktivkapital, aber wie? Nicht mit den Rentenbeiträgen der Versicherten, sondern mit dem sogenannten Generationenkapital soll der Sprung an die Börse vollzogen werden. Die Regierungspolitiker haben diese zusätzliche Komponente geschaffen, die auf zwei Wegen aufgebaut werden soll: durch jährlich steigende Kredite von anfänglich zwölf Milliarden Euro und durch Übertragung von Vermögenswerten.
KEINE GROSSEN SPRÜNG
Das Generationenkapital soll der „Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung“, kurz Kenfo, weltweit breit diversifiziert in Aktien, Fonds und Immobilien investieren. Ab dem Jahr 2036 sollen daraus jährlich Erträge in Höhe von durchschnittlich zehn Milliarden Euro an die gesetzliche Rentenversicherung ausgeschüttet werden. Tatsächlich steht die Entscheidung über die konkrete Höhe der Ausschüttungen erst ab Mitte der 30er-Jahre im Lichte der tatsächlichen Wertentwicklung an. Jedenfalls wird angepeilt, dass der Rentenbeitragssatz nach 2035 nicht auf 22,7 Prozent steigt, sondern bei 22,3 Prozent stabilisiert werden kann.
Große Sprünge erwartet also selbst die „Ampel“ erstmal nicht. Dies hat auch damit zu tun, dass das Generationenkapital größtenteils kreditfinanziert wird. Die Konsequenz: Die Wertsteigerungen und Dividendenerträge des Kenfo müssen zunächst einmal die Zinskosten ausgleichen, damit nominal kein Verlust entsteht. Erst jeder darüber hinaus erzielte Euro könnte dann in die Rentenkasse fließen. Zumindest kann sich die Bilanz des Kenfo bisher sehen lassen: So wurde in den Jahren 2020 und 2021 eine Rendite von 8,3 bzw. 10,4 Prozent erzielt, nur im Jahr 2022 steht mit minus 12,2 Prozent ein dickes Minus in den Büchern. Das verwundert jedoch nicht. Schließlich war es für Investoren allgemein ein herausforderndes Jahr, weil Aktien und Anleihen gleichermaßen keine Erträge lieferten.
Unterm Strich bleibt damit die Erkenntnis, dass der vom Finanzminister Christian Lindner ausgerufene „Paradigmenwechsel“ zu spät kommt, halbherzig ausfällt und eher den Eindruck einer Nebelkerze hinterlässt. Denn das Rentenniveau, ein rechnerischer Wert ohne praktische Bedeutung, wird zwar auf 48 Prozent gedeckelt. Doch der „Nachhaltigkeitsfaktor“ der sogenannten Rentenanpassungsformel wird dafür zum Nachteil der Beitragszahler ausgehebelt. Für sie bleibt es gleichzeitig weiter unklar, wie der Staat ihnen bei der privaten Altersvorsorge helfen will.