Von defensiv zu zyklisch

Juli 2023
Im Invesco-Marktausblick für das zweite Halbjahr 2023 erklären Invesco-Experten, weshalb sie nicht mit einer Rezession rechnen und Chinas Börsen ein Blick wert sind.
Invesco
Kristina Hooper, Invesco

Während die größten Volkswirtschaften des Westens in den kommenden Monaten zwar keine Rezession, aber eine „holprige Landung“ erleben könnten, steht China nach Ansicht der Experten des Global Market Office von Invesco vor einem „holprigen Start“ seiner Wirtschaft. Wie diese in ihrem Marktausblick für die zweite Jahreshälfte 2023 schreiben, spricht das für eine kurzfristige Fokussierung auf defensive Anlagen, gefolgt von einer Umschichtung in zyklischere Anlagen. Dabei halten die Invesco-Experten die Emerging Markets – und vor allem China – für besonders attraktiv.

„Wir glauben, dass der Zinshöchststand erreicht ist oder kurz bevorsteht, die Inflation nachlässt und wir es mit einem kurzlebigen konjunkturellen Abschwung zu tun haben werden. Die Märkte dürften darüber schon bald wieder hinwegsehen und eine künftige Konjunkturerholung einpreisen“, sagt Kristina Hooper, Chief Global Market Strategist bei Invesco. Während sich große Industrieländer in einer Spätphase des Zyklus befänden, sei China in einer Frühphase und das Bild für die anderen Schwellenländer gemischt.

In ihrem Basisszenario gehen die Investmentexperten von einem Wachstum unter Trend und einer kurzfristigen Wachstumsabschwächung in den großen Industrieländern aus. In der zweiten Jahreshälfte werde dann bereits wieder eine Erholung einsetzen. Die Entwicklung in der Eurozone und Großbritannien werde mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung ähnlich wie in den USA verlaufen, wo der Zinshöchststand erreicht sei oder kurz bevorstehe. Dementsprechend rechnen die Invesco-Experten auch mit weiteren Zinserhöhungen durch die Europäische Zentralbank (EZB) und die Bank of England (BoE). China werde seine Wiederöffnung voraussichtlich fortsetzen, wobei der Dienstleistungssektor die Erholung anführen werde, während sich die produzierende Industrie aufgrund der globalen Wachstumsverlangsamung schwächer entwickeln werde.

ZYKLISCHE AKTIEN BEI EINER ERHOLUNG

In diesem Umfeld rechnen die Invesco-Experten mit einer kurzfristigen Outperformance defensiver Anlagen und einer Rotation in zyklische Anlagen, wenn die Märkte beginnen, eine Erholung der Wirtschaft einzupreisen. „Nach der unterdurchschnittlichen Performance globaler Value-Aktien bieten sich jetzt attraktive Anlagemöglichkeiten in Bereichen wie den Schwellenmärkten, Europa und dem Small-Cap-Segment“, so Alessio de Longis, Senior Portfolio Manager und Head of Investments, Invesco Investment Solutions. „Die Anleger trennen sich seit mehr als zwei Jahren von risikoreicheren Anlagen. Der Pessimismus hat jedoch extreme Ausmaße angenommen und die Stimmung könnte schnell umschlagen.“ Im verarbeitenden Gewerbe sei die Talsohle bald erreicht; in der Vergangenheit sei dies häufig ein Vorbote einer positiven Kursentwicklung an den Aktienmärkten gewesen.

Für besonders attraktiv halten die Invesco-Experten chinesische Aktien, und zwar unabhängig vom Anlagehorizont. „Gemessen an ihrem zyklusbereinigten Kurs-Gewinn-Verhältnis sind chinesische Aktien so günstig wie selten zuvor. Damit befinden sie sich in einer deutlich besseren Ausgangsposition als zum Beispiel die viel teureren US-Aktien, da die Bewertungen in der Regel ein wichtiger Faktor für die langfristigen Renditen sind“, so de Longis.

Außerdem habe die chinesische Zentralbank (PBoC) ihre Geldpolitik in den vergangenen Jahren gelockert, während die Fed einen aggressiven Straffungskurs verfolgt hat. Unter anderem habe dies zu einem sehr unterschiedlich starken Geldmengenwachstum in beiden Ländern geführt. „Unserer Ansicht nach verspricht dies eine höhere Wachstumsdynamik (und bessere Entwicklung der Unternehmensgewinne) in China, das sich momentan von einer schwachen Performance im Jahr 2022 erholt, unterstützt durch die Abschaffung der pandemiebedingten Beschränkungen. Wenn das monetäre Umfeld ein Indikator für die künftige Entwicklung der Wirtschaft ist, erscheint China gut aufgestellt. Auf Sicht der nächsten zwölf Monate könnte das für chinesische Aktien sprechen“, meint Hooper.

ANSTIEG DER REALEN RENDITEN

Was die Anleihemärkte angeht, ist Rob Waldner, Chief Strategist und Head of Macro Research, Invesco Fixed Income, davon überzeugt, dass der deutliche Anstieg der realen Renditen im zurückliegenden Jahr gute Möglichkeiten für Anleger eröffnet hat, in einem zunehmend förderlichen gesamtwirtschaftlichen Umfeld attraktive Gesamtrenditen aus Anleihen zu realisieren. „Unternehmensanleihen dürften von den lockereren Finanzierungsbedingungen infolge der Fed-Zinspause profitieren. Die Bewertungen von Kreditanlagen liegen in der Nähe ihres längerfristigen Medians, aber die Kreditfundamentaldaten sind positiv“, so Waldner. Der Invesco-Experte bevorzugt hochwertige Papiere wie Investment-Grade-Unternehmensanleihen und Kommunalanleihen sowie bestimmte verbriefte Anlageklassen.

Die Investmentexperten von Invesco sehen auch Möglichkeiten, mittelfristig hohe Renditen aus Emerging-Market-Anlagen zu erzielen, die sie im Vergleich zu ihren Industrieländer-Pendants für attraktiv bewertet halten. Beispielsweise sei der Spread zwischen auf USD lautenden Staatsanleihen von Schwellenländern und US-Staatsanleihen höher als normal.

In der Vergangenheit sei es zwar infolge einer Lockerung der Fed-Geldpolitik häufig zu einer unterdurchschnittlichen Performance von EM-Anlagen gekommen – die Invesco-Experten führen die schwache Performance von EM-Anlagen in den letzten 18 Monaten jedoch auf den starken Anstieg der US-Anleiherenditen und die Aufwertung des US-Dollars zurück und rechnen mit einem weiterhin untypischen Zyklus. „Die Lockerung der Fed-Geldpolitik und der dadurch schwächere US-Dollar dürften positiv für risikoreichere Anlagewerte, einschließlich der Emerging Markets, sein“, sagt Mo Haghbin, Head of Solutions, Invesco Investment Solutions. Dabei dürften die EM-Anlagen auch von der Erholung der chinesischen Wirtschaft profitieren.

Wie er anmerkt, notiert der reale handelsgewichtete US-Dollar immer noch deutlich über seinem historischen Durchschnitt. „Aufgrund des hohen Leistungsbilanzdefizits der USA dürfte die aktuelle Dollarstärke jedoch nicht haltbar sein“, meint er. Wie er erläutert, sind Renditedifferenzen häufig die Ursache für kurzfristige Währungsschwankungen. Dabei sei der USD im Jahr 2022 durch die aggressive Straffung der Fed gestützt worden: Dadurch habe sich der Renditeabstand zwischen US-Staatsanleihen und Staatsanleihen in anderen Währungen vergrößert. Nachdem sich die Märkte jetzt auf eine Lockerung der Fed-Politik einstellen, bewege sich dieser Renditeabstand jedoch gegen den Dollar. Daher rechnen die Invesco-Experten auch mit einer Abwertung des US-Dollars.

Rohstoffe würden zwar weiterhin von positiven langfristigen Treibern wie der Nachfrage nach sauberer Energie und Angebotsengpässen durch Unterinvestitionen profitieren. Wie die Invesco-Experten anmerken, hängt der kurzfristige Ausblick für die Anlageklasse jedoch weiterhin vor allem von der Wahrscheinlichkeit und dem Ausmaß einer potenziellen weltweiten Rezession ab.

In ihrem Negativszenario einer „harten Landung“ käme es zu Rezessionen in den USA und Europa, während China und die Schwellenmärkte eine Rezession gerade noch vermeiden würden. In diesem Szenario würden die Invesco-Experten mit einer Outperformance defensiverer Anlagen rechnen und den Schwerpunkt auf Cash, Staatsanleihen mit langer Duration, defensive Aktien wie Basiskonsumgüter- und Gesundheitswerte sowie Gold legen. In einem positiveren Szenario einer „sanften Landung“ würden sie die beste Performance von mittzyklischen Titeln erwarten. Ihre bevorzugten Anlageklassen wären Hochzinsanleihen sowie europäische Aktien und Schwellenländeraktien, wobei ihr Fokus auf Value-Titeln und Small-Caps, Grundstoff- und Industriewerten sowie industriellen Rohstoffen – vor allem Metallen – läge.