Auf der jüngsten Sitzung bestätigte die Europäische Zentralbank (EZB), dass sie ihre weitere Entscheidung von der Datenlage abhängig macht. Montag, den 31. Juli, wurden dabei zwei wichtige Daten veröffentlicht, die den Märkten weitere Hinweise darauf geben, was im September geschehen könnte, konstatiert Tomasz Wieladek, Chefvolkswirt für Europa bei T. Rowe Price, in seinem aktuellen Marktkommentar.
So wuchs das BIP der Eurozone im 2. Quartal um 0,3 Prozent. Dies liegt über den Konsenserwartungen. Trotz dieses unerwartet guten Ergebnisses gibt es jedoch Anzeichen für eine Schwäche der Binnennachfrage. Frankreich verzeichnete im zweiten Quartal zwar ein Wachstum von 0,5 Prozent, doch wurde dies durch die gestiegenen Exporte getragen, welche die schwache Inlandsnachfrage mehr als ausglichen. Italiens Wirtschaft schrumpfte im 2. Quartal aufgrund der schwachen Inlandsnachfrage um 0,3 Prozent. Und die deutsche Wirtschaft stagnierte.
KERNINFLATION BLEIBT UNVERÄNDERT
Trotz eindeutiger Anzeichen für eine Abschwächung der Inlandsnachfrage auf Länderebene und damit Anzeichen für das Funktionieren der Geldpolitik überraschte das Wachstum im Euroraum insgesamt positiv. Wichtig ist, dass die technische Rezession des letzten Winters wegrevidiert wurde, so dass die jüngsten Daten die EZB dazu veranlassen könnten, der jüngsten Schwäche der Konjunkturumfragen etwas weniger Gewicht beizumessen.
Die Daten zur Kerninflation des Euroraums überraschten den Konsens nach oben, obwohl am vergangenen Freitag die Daten für die einzelnen Länder (Deutschland, Frankreich und Spanien) vorlagen. Während die Gesamtinflation im Juli von 5,5 Prozent auf 5,3 Prozent zurückging, blieb die Kerninflation, die für die EZB von Bedeutung ist, im Juli bei 5,5 Prozent und damit auf dem gleichen Wert wie im Juni. Wichtig ist, dass die Dienstleistungsinflation im Juli auf 5,6 Prozent im Jahresvergleich stieg, gegenüber 5,4 Prozent im Juni. Die monatliche Dynamik der Dienstleistungsinflation stieg von 0,4 Prozent im Juni auf 0,6 Prozent im Juli. Auf Monatsbasis stieg die auf das Jahr hochgerechnete Inflationsrate im Dienstleistungssektor also von 4,8 Prozent im Juni auf 7,2 Prozent im Juli.
WIRTSCHAFTLICHE FAKTOREN
Es besteht kein Zweifel daran, dass ein Teil dieser Widerstandsfähigkeit der VPI-Inflationsdaten von heute Morgen auf statistische Effekte, wie z. B. Änderungen der Gewichte, zurückzuführen ist. Es wird jedoch sehr schwer sein, dies von einem Anstieg der Dienstleistungsinflation zu unterscheiden, der auf wirtschaftliche Faktoren zurückzuführen ist. Wir glauben, dass eine vorsichtige EZB den wirtschaftlichen Erklärungen für den jüngsten Anstieg der VPI-Inflation im Dienstleistungssektor mehr Gewicht beimessen wird
Diese Daten sprechen eindeutig für eine datenabhängige EZB, die im September eine weitere Zinserhöhung vornehmen wird. Obwohl sich die Binnennachfragekomponente des Wachstums deutlich abgeschwächt hat, war das Wachstum im Euroraum im zweiten Quartal insgesamt immer noch stärker als erwartet. Wichtig ist, dass sich das revidierte EA-BIP-Wachstum im letzten Winter als deutlich stärker erwiesen hat, als die Konjunkturumfragen im letzten Winter vermuten ließen. Dies bedeutet, dass die EZB bei ihrer Einschätzung, ob die EZ im dritten Quartal 2023 in eine Rezession eintritt, der jüngsten Schwäche der Konjunkturumfragen wahrscheinlich weniger Gewicht beimessen wird. Die Daten, die der EZB am meisten am Herzen liegen, sind eindeutig die Inflation. Die VPI-Inflation im Dienstleistungssektor, auf die die EZB am meisten Wert legt, fiel sowohl im Jahres- als auch im Monatsvergleich stärker aus als erwartet. Am 31. August werden weitere Inflationsdaten veröffentlicht, am 8. August die EZB-Umfrage zu den Inflationserwartungen der Verbraucher und im August die verhandelten Löhne im Euroraum, alles im Vorfeld der September-Sitzung. Sofern diese Daten nicht viel schwächer ausfallen als erwartet, bin ich der Meinung, dass die EZB aufgrund der jüngsten Daten zu einer Zinserhöhung im September raten wird.
Interessanterweise haben die Finanzmärkte nicht wie erwartet auf diese Daten reagiert. Die Geldmärkte schätzen die Wahrscheinlichkeit einer Zinserhöhung im September nur auf 33 Prozent. Die Rendite 2-jähriger Bundesanleihen hat den anfänglichen Ausverkauf wieder wettgemacht. Und die Reaktion des Euro war gering. Obwohl alle bisherigen Daten auf eine Zinserhöhung der EZB hindeuten, wetten die Finanzmärkte immer noch darauf, dass die EZB im September keine Zinserhöhung vornehmen wird. Vielleicht sind mehr Daten erforderlich, um die Finanzmärkte zu überzeugen, aber die Märkte reagieren oft nur langsam auf Daten, insbesondere im Sommer. Ich halte daher eine Neubewertung im Vorfeld der EZB-Entscheidung im September für plausibel.