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Beschäftigte setzen bei Gesundheit und Rente verstärkt auf ihren Chef

Printausgabe | April 2023
Aktuelle Umfragen zeigen: Betriebliche Lösungen zur Gesundheitsvorsorge und Alterssicherung kommen gut an. Arbeitgebern kommt der Trend gelegen, sie lassen die betriebliche Altersvorsorge (bAV) aber oftmals ungenutzt. Das will die Politik jetzt ändern.
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Die Bedeutung der betrieblichen Altersvorsorge (bAV) hat in den vergangenen Jahren zugenommen, weil die Generationen, die nun in den Arbeitsmarkt drängen, wissen, dass sie sich um ihre Altersvorsorge selbst kümmern müssen“, sagt Johannes Heiniz mit Blick auf aktuelle Studienergebnisse von WTW aus dem vergangenen Jahr. Aus Sicht des Senior Director Retirement bei der Beratungsgesellschaft ist das Potential der bAV für die Gewinnung und Bindung von neuen Mitarbeitenden so hoch wie seit einem Jahrzehnt nicht mehr.

Ähnlich ist die Lage bei der betrieblichen Krankenversicherung (bKV). 22.300 Betriebe boten Ende vergangenen Jahres nach Angaben des PKV-Verbands diese Form der Zusatzkrankenversicherung an. Das entspreche einem Plus von 22,5 Prozent. Parallel dazu sei die Zahl der Beschäftigten, die von einer bKV profitieren, um 11,5 Prozent auf 1,8 Millionen gestiegen. Dabei kommt das Angebot von Budgettarifen besonders gut an. Hier können Beschäftigte im Rahmen von jährlichen Budgets z. B. eine Brille oder Zahnbehandlungen bezahlen. Arbeitgeber wiederum punkten im harten Wettbewerb um qualifizierte Fachkräfte (mehr zu diesem Thema auf S. 48).

Bei der Altersvorsorge nimmt gerade die Generation Mitte verstärkt persönliche Defizite wahr. „Nur noch 30 Prozent der 30- bis 59-Jährigen bezeichnen die eigene Absicherung fürs Alter als ausreichend. Vor fünf Jahren waren es noch 38 Prozent“, berichtet Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer beim Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) über ein Ergebnis der Ende Februar 2023 veröffentlichten Umfrage. Fast jeder Zweite halte die bisherigen Vorsorgeanstrengungen für nicht ausreichend. Bei der Frage nach der „idealen“ Alterssicherung schafft es die bAV, der Studie zufolge, nach der gesetzlichen Rente und dem Eigenheim auf den dritten Platz und damit noch deutlich vor die private Altersvorsorge.

Dass das Angebot einer Betriebsrente gerade bei jüngeren Beschäftigten im Alter von 18 bis 35 Jahren hoch im Kurs steht, bestätigt eine repräsentative Umfrage der Beratungsgesellschaft Aon aus dem Herbst vergangenen Jahres. Demnach nimmt die bAV im Vergleich zu anderen Benefits einen vorderen Rang ein und ist ein wichtiges Motiv bei der Entscheidung für einen Arbeitgeber. So würde jeder dritte Befragte die bAV seines Chefs als Sozialleistung schätzen und bei ihrer Ausgestaltung besonders auf die Flexibilität achten (siehe Grafik).

Was heißt das konkret? Der Bezugszeitpunkt der Betriebsrente sollte vom gesetzlichen Renteneintrittsalter entkoppelt werden. Auch die Möglichkeit, die Betriebsrente bei einem Arbeitsplatzwechsel problemlos fortführen zu können, wird begrüßt. „Die Ergebnisse unserer Umfrage spiegeln unter anderem die Tatsache wider, dass gerade die beruflichen Biografien junger Arbeitnehmer heute von Dynamik und Veränderung geprägt sind und sein werden“, ergänzt Pascal Stumpp, Senior Consultant bei Aon.

mehr risiken akzeptiert

Die Umfrage offenbart zudem, dass deutlich mehr als jeder Zweite mittlere bis hohe Risiken bei der Kapitalanlage für die bAV akzeptiert, um später eine höhere Betriebsrente erhalten zu können (siehe Grafik). „Hier deutet sich ein grundsätzlicher Mentalitätswandel an. Bei früheren Umfragen waren den Arbeitnehmern durchweg Garantien besonders wichtig“, berichtet Angelika Brandl, Partner bei Aon. „Das Wissen, dass höhere erwartete Renditen immer auch höhere Risiken bedeuten, setzt sich offenbar durch. Vor allem jüngere Arbeitnehmer sind bereit, zugunsten höherer erwarteter Leistungen Abstriche bei der Sicherheit zu machen“, ergänzt Brandl, betont aber zugleich, dass dies zumindest bei den jüngeren Beschäftigten nicht für eine nachhaltige Ausrichtung der bAV gelte. Denn rund drei Viertel der Befragten gibt an, dass ihnen eine Anlage nach ökologischen, sozialen und ethischen Kriterien wichtig ist.

Der beschriebene Mentalitätswandel und der durch die Notenbankpolitik notwendig gewordene Abschied von vollumfänglichen Kapitalgarantien dürften derzeit auch in Berlin thematisiert werden – und zwar in doppeltem Sinne. Unter der Federführung des Bundesministeriums für Finanzen bzw. des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales laufen aktuell zwei Expertenrunden mit Vertretern der Versicherungs- und Fondsbranche, des Verbraucherschutzes, der Sozialpartner, der bAV und Wissenschaftlern. In der einen, der „Fokusgruppe private Altersvorsorge“, sollen neue Produktkonzepte und eine verbesserte Förderung von Geringverdienern geprüft werden.

sozialpartnermodell öffnen

In der anderen, dem „Fachdialog Stärkung der Betriebsrente“, findet ein „ergebnisoffener Dialogprozess“ statt, bei dem, laut Teilnehmern, bisher drei Themen im Fokus standen. Erstens das Sozialpartnermodell (SPM), das nach über vier Jahren erst zwei Mal zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden auf Basis einer reinen Beitragszusage umgesetzt wurde. Möglich wäre hier, dass das tarifgebundene Modell für Branchenfremde geöffnet und somit stärker genutzt würde. Allerdings setzt dies ein höheres Maß an Flexibilität und Offenheit aufseiten der Tarifpartner voraus. Zweitens können wohl Geringverdiener davon ausgehen, dass ihre Teilnahme stärker gefördert wird, da ihnen oft die finanziellen Mittel für eine ausreichende Altersvorsorge fehlen.

Drittens geht es um die Beitragszusage mit Mindestleistung. Da vollumfängliche Kapitalgarantien nach übereinstimmenden Expertenmeinungen, wie z. B. der Deutschen Aktuarvereinigung, den Vermögensaufbau für die Altersvorsorge ausbremsen, soll der Gesetzgeber klarstellen, dass abgesenkte Garantien auch in dieser Zusageform möglich sind. In der Branche besteht ein „Gelehrtenstreit“ darüber, ob die gesetzlichen Regelungen dies bereits hergeben – mit der Folge, dass z. B. Direktversicherungen vor allem als beitragsorientierte Leistungszusage abgeschlossen werden (mehr über diesen Durchführungsweg auf S. 52).

Wie wichtig die bAV auch für Vermittler geworden ist, zeigt eine WTW-Studie von Ende 2022. So beträgt der bAV-Anteil auf Basis eingelöster laufender Beiträge bei Maklern und Mehrfachagenten 36 Prozent und damit nur sechs Prozent weniger als der Anteil privater Altersvorsorge. Nur bei Einfirmenvermittlern gibt es angesichts des Verhältnisses von 27 gegenüber 57 Prozent eine klare Präferenz für die private Vorsorge.

Wichtig auch für Beschäftigte und vor allem Arbeitgeber: Die fünf führenden Lebensversicherer vereinen einen Anteil von 55 Prozent des Neugeschäfts auf sich, die TOP 10 mehr als zwei Drittel. „Im bAV-Vertrieb über Makler und Mehrfachagenten ist es sogar weitaus konzentrierter“, sagt Henning Maaß, Director Insurance Management Consulting bei WTW. Dort vereinen die zehn größten Anbieter 86 Prozent des bAV-Neugeschäfts auf sich und allein die fünf größten bAV-Anbieter bereits fast drei Viertel.

In der Praxis läuft die bAV auf fünf Durchführungswegen: den drei versicherungsförmigen Varianten Direktversicherung, Pensionskasse und rückgedeckte Unterstützungskasse sowie Pensionsfonds und der Pensions- oder Direktzusage. Beide letztgenannten heben sich insbesondere durch eine freiere und damit chancenreichere Kapitalanlage ab. Auf welchem Weg der Vermögensaufbau für eine spätere Betriebsrente am besten gelingt, hängt maßgeblich von der Kapitalanlage der Versorgungseinrichtungen, den Entwicklungen an den Kapitalmärkten und der Höhe von staatlichen Förderungen und Arbeitgeber-Zuschüssen ab. Daher gilt: Je geringer der Eigenanteil an einer bAV ausfällt, desto ratsamer ist es für Erwerbstätige, das Angebot des Arbeitgebers zu nutzen – gerade in Zeiten, in denen eine erhöhte Inflation die Renditen schlicht wegfrisst.